Schlagwort: Rußland

Barbarei

Schenkt man von Moskau bezahlten Verteidigern von Presse- und Meinungsfreiheit Glauben, hat es in Butscha entweder gar kein Massaker gegeben – Aufnahmen aus dem Vorort von Kiew sind nämlich gefälscht -, oder, falls dort dennoch einige Leichen gefunden worden sein sollten, hat dort eine ukrainische »False-Flag-Operation« stattgefunden, um dem Kreml ein »Kriegsverbrechen« unterzuschieben.

Und es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis die Führung in Moskau verkünden läßt, daß es einen Ort Butscha gar nicht gibt. Die Parallelwelt, die die russische Propaganda noch immer auch in deutscher Sprache schafft, hat mit der Wahrheit wenig gemein. Allein die große Zahl der Versuche, auf sich teils widersprechende Weise zu belegen, daß nicht sein kann, was doch ist, bestätigt das Verbrechen.

Russische Truppen, ohnehin nicht als allzu zimperlich verrufen, haben vor oder während ihres Abrückens aus einem Vorort der ukrainischen Hauptstadt Kiew ein Massaker angerichtet, das sie und ihren Oberbefehlshaber als »Befreier« gründlich diskreditiert. Wehrlose Menschen wurden in Butscha brutal gefoltert und abgeschlachtet; mit Feuer versuchten die Täter noch, ihre Spuren zu verwischen.

Einen Monat vor dem »Tag des Sieges«, an dem Moskau mit einer Militärparade das Jubiläum der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg begehen will, hat die russische Armee das Andenken an die Helden der Roten Armee im Blut ihrer Opfer entehrt und ersäuft. Die Bluttaten der Soldateska Wladimir Putins zeigen, daß Rußland kein Teil der zivilisierten Welt ist.

Täuschungsmanöver

Fünf Wochen nach dem Beginn der »Entnazifizierung« und »Entwaffnung« der Ukraine durch die russische Armee und deren Verbündete ist ein baldiges Ende der Auseinandersetzungen noch lange nicht in Sicht. Moskau hat ganz offenbar die Fähigkeiten der eigenen Armee weit über- und die Einsatzbereitschaft der ukrainischen Streitkräfte und der sie tragenden Bevölkerung noch weiter unterschätzt.

Gleichwohl ist ein russischer Sieg noch immer nicht ausgeschlossen, denn auch wenn Kiew inzwischen vom Westen nicht mehr nur mit wohlklingenden Worten, sondern zunehmend mit Waffenlieferungen unterstützt wird, führt die Ukraine weiterhin tatsächlich einen ziemlich einsamen Kampf: Weil »unsere Freiheit« eben gerade nicht in Mariupol verteidigt wird, bleiben »wir« kaum mehr als Zuschauer.

In Deutschland inszenieren derweil Teile der Politischen Klasse, die gestern noch keinem Termin mit Wladimir Putin aus dem Weg gehen wollten, etwas, das wohl Selbstkritik sein soll. Exemplarisch für sie steht der Christdemokrat Wolfgang Schäuble, lange Jahre in verschiedenen Ressorts als Minister tätig, von 2017 bis 2021 als Bundestagspräsident und gegenwärtig Alterspräsident des deutschen Parlaments.

In einem am vergangenen Wochenende veröffentlichten Interview erklärte er, »heute weiß ich: Ich lag falsch, wir alle lagen falsch«. Was nach dem Eingeständnis eines Fehlers bloß klingt, ist in der Tat ein Versuch, von der eigenen Verantwortung abzulenken. Lagen »wir alle« falsch, ist niemandem ein Vorwurf zu machen. Doch es bedurfte nicht erst des Wissens von heute, »wir alle« lagen nicht falsch.

Wladimir Putin hat nicht »uns alle« getäuscht, betrogen oder was auch immer, die, die sich heute im und hinter dem »Wir« verstecken, haben Warnungen, an denen es durchaus nicht mangelte, nicht wahrnehmen wollen, sich über sie lustig gemacht, sie verleumdet und es dabei ab und an nicht so genau genommen mit der Wahrheit oder sie schlicht ignoriert, weil sie nicht in das eigene Weltbild paßten.

Und dieses Verleugnen setzt sich bis heute fort, wenn Wolfgang Schäuble et al. sich in ein Kollektiv (»wir alle«) flüchten, das es so nie gab. Und es waren nicht bloß Stimmen wie die des als »Haßprediger« geschmähten oder als Witzfigur verhöhnten Donald J. Trump, sondern auch Institutionen wie etwa das Europäische Parlament, die ganz bewußt ignoriert wurden. Wer das bis heute leugnet, lügt weiter.

Antiamerikanische Kontinuität

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat einen »stärkeren internationalen Lastenausglich« zur Bewältigung der Flüchtlingsströme verlangt, die eine Folge des russischen Einmarschs in die Ukraine sind. Neben weiteren Staaten müßten sich auch die Vereinigten Staaten, so die »grüne« Politikerin, weiter für Menschen öffnen, die vor den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine fliehen.

Es ist ganz gewiß ein ethisches Gebot, Menschen in Not zu helfen. Gleichwohl ist die Anspruchshaltung der deutschen Politikerin insbesondere gegenüber Washington eine Zumutung. Denn der inzwischen vier Wochen alte Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine ist auch eine Folge des gerade von der deutschen Politik gegen jeden Rat in den letzten Jahren betriebenen Heranwanzens an den Kreml.

Hätten deutsche Politiker Warnungen aus beiden großen amerikanischen Parteien vor allzu großer Nähe zu Moskau nicht mit der ihnen eigenen Arroganz regelmäßig ignoriert oder gar mit antiamerikanischem Unterton empört zurückgewiesen, wäre es Wladimir Putin womöglich nicht eingefallen, die ganze Ukraine »entnazifizieren« zu wollen. Statt dem Kreml früh Grenzen zu setzen, suchte Berlin dessen Nähe.

Und natürlich war die lange als »Erfolgsformel« gefeierte Idee Frank-Walter Steinmeiers, Kiew eine Autonomie der abtrünnigen »Volksrepubliken« im ukrainischen Osten aufzuschwatzen, ein dummer Einfall. Anderswo soll eine Autonomie ein erste Schritt hin zu Eigenstaatlichkeit der betroffenen Gebiete sein, der Ukraine hingegen wurde bedeutet, sie könne so ihre staatliche Souveränität wiederherstellen.

Kurz vor dem Einmarsch seiner Streitkräfte anerkannte Moskau die staatliche Unabhängigkeit der »Volksrepubliken« und ließ sich von dort um Beistand bitten – ein Vorwand zur Rechtfertigung seiner Aggression. Daß ausgerechnet Berlin Washington nun unterstellt, zu wenige Flüchtende aufzunehmen, ist daher anmaßend. Ohne die ignorante Arroganz Berlins gegenüber Washington wäre die Lage eine andere.

Wies Berlin selbstherrlich amerikanischen Rat zurück, erhebt es heute mit Annalena Baerbocks Forderung erneut moralisierend den Zeigefinger gegenüber den Vereinigten Staaten. Diese Dreistigkeit ist wohl kaum mehr zu überbieten. Es war auch und gerade das deutsche Appeasement, das Europa diesen Krieg bescherte. Amerika verpflichten zu wollen, für dessen Folgen aufzukommen, sollte Berlin sich verkneifen.

Deutsche Prioritäten

Nachdem die Politische Klasse Deutschlands lernen mußte, daß Warnungen vor allzu engen Beziehungen zu »lupenreinen Demokratien« einige Berechtigung haben könnten, hat Wirtschaftsminister Robert Habeck bei einem Besuch im Emirat Katar, der ersten Station seiner gegenwärtigen Nahost-Reise, mit der autoritären Führung in Doha eine, wie es heißt, langfristige Energiepartnerschaft vereinbart.

Dabei sei, so der von Bündnis 90/Die Grünen gestellte Minister, ihm durchaus klar, mit wem er Gespräche geführt habe. »Zwischen einem nicht demokratischen Staat, bei dem die Situation der Menschenrechte problematisch ist, und einem autoritären Staat, der einen aggressiven, völkerrechtswidrigen Krieg vor unserer Tür führt«, erklärte er einer Zeitung, gebe es aber »noch mal einen Unterschied«.

Das ist ist gewiß nicht gänzlich falsch. Gleichwohl sollte Berlin sich fragen, ob es ausgerechnet Katar sein muß. Das seit 2013 Regime von Tamim bin Hamad Al Thani geführte Regime der konstitutionellen Erbmonarchie zählt zu den engsten Verbündeten der in Gaza herrschenden Hamas. Mit seinen allmonatlichen Millionentransfers in das Gebiet hilft Doha, das Regime der Islamisten aufrechtzuerhalten.

Das Emirat, das der Hamas-Führung auch gern öffentliche Auftritte auf seinem Territorium erlaubt, ist damit selbstverständlich in den Terrorkrieg der Islamisten gegen den jüdischen Staat verwickelt. Und dank Roberts Habecks Energiepartnerschaft wird auch deutsches Geld Doha ermöglichen, seine Unterstützung der Hamas fortzusetzen. Deutschland finanziert damit Gewalt gegen und Morde an Juden.

Nach Katar bereist der deutsche Minister die Vereinigten Arabischen Emirate, denen durchaus ebenfalls nicht wenige Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden können. Anders als Katar, dessen Außenministerium ähnliche Schritte kategorisch ausschließt, haben Jerusalem und Abu Dhabi vor bald 20 Monaten die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vereinbart und vertiefen sie seither immer mehr.

Barbar

Bis zum 9. Mai vergeht noch einige Zeit, Zeit in der viel geschehen kann. Vielleicht wird die Ukraine dann nur noch Erinnerung sein, vielleicht ein gnädiges Schicksal Rußland einen zurechnungsfähigen Präsidenten beschert haben. Sollte allerdings in acht Wochen Wladimir Putin noch im Amt sein, er wird es hoffentlich nicht wagen, seine Armee zum »Tag des Sieges« durch Moskau paradieren zu lassen.

Mit Militäraufmärschen feiert Rußland am »Tag des Sieges« das Jubiläum der maßgeblich von der Roten Armee erkämpfte bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945, den Tag, an dem der Zweite Weltkrieg in Europa endete. Mit den sowjetischen Befreiern vom deutschen Nationalsozialismus hat die russische Armee der Gegenwart derweil wenig gemein.

Dafür jedenfalls, daß die russischen Streitkräfte heute kaum irgendwo als Befreier wahrgenommen werden können, hat Wladimir Putin gesorgt. Zwar versuchte der russische Präsident mit der Behauptung, der russische Einmarsch in die Ukraine diene deren »Entnazifizierung«, historische Bezüge herzustellen, die Praxis seines Krieges jedoch beschmutzt und verrät das Andenken an die Helden der Roten Armee.

An Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine ist nichts antifaschistisch. Tatsächlich dürften extreme Nationalisten, Anhänger des Antisemiten und Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera, die es in dem Land freilich gibt, durch den russischen Überfall legitimiert und gestärkt worden sein. Selbst große Teile der angeblich von einem »Holocaust« bedrohten russischsprachigen Ukraine kämpfen gegen ihre »Befreiung«.

Wladimir Putin scheint von allen guten Geistern verlassen. Sein durch nichts provozierter Krieg gegen die Ukraine ist einer gegen die Zivilisation. Mit gezielter Barbarei gegen ukrainische Zivilisten, gegen zivile Infrastruktur, mit der dieser Krieg in Erinnerung bleiben wird, stellt Wladimir Putin Rußland und seine Armee und sich bloß. Er ist kein Befreier, sein Ende könnte der Beginn einer Befreiung sein.

Unterlassene Hilfeleistung

Sollte Wladimir Putin an einen schnellen Erfolg seiner »Entnazifizierung« der Ukraine geglaubt haben, dürfte die Realität den russischen Präsidenten zumindest von diesem Wahn kuriert haben. Seit dem 24. Februar dauert sein jüngster und zunehmend schmutzigerer Krieg gegen die Ukraine an, doch von einem baldigen Sieg, so unausweichlich der letztlich auch sein mag, scheint Moskau noch weit entfernt.

Mit jedem Kriegstag freilich wird zugleich deutlicher, daß niemand wirklich bereit ist, der Ukraine zu helfen, ihrem Schicksal noch zu entkommen. Das Land gleicht einem Ertrinkenden, dem aus einem gaffenden Publikum heraus allenfalls Strohhalme zugeworfen werden, der Rettungsring aber verwehrt wird. Der Westen berauscht sich an seinem »schweren Herzen« und unterläßt, was notwendig wäre.

Gleichzeitig ist es atemberaubend, wie schnell Wladimir Putin in mancher Hauptstadt insbesondere im Westen Europas von einem gern gesehenen Staatsoberhaupt zum Gottseibeiuns mutiert, peinlich, wie versucht wird, mit neu erwachter Russophobie von der bis gestern (und oft noch bis heute) andauernden Komplizenschaft mit dem Despoten abzulenken, von der (Mit-)Verantwortung für den Untergang Kiews.

Wer sah, wie etwa Olaf Scholz, Vorsitzender der SPD und deutscher Kanzler, davor lange Jahre Minister unter Kanzlerin Angela Merkel, im Interview verneint, im Umgang mit Moskau je Fehler gemacht zu haben, hat die personifizierte Verlogenheit erlebt. Sie, die Rat und Warnungen vor Wladimir Putin in den Wind schlugen und heute davon nichts mehr wissen wollen, gehörten verlacht und geächtet.

Diplomatie als Selbstzweck

Inzwischen heißt es seit Wochen, bald seit Monaten, es blieben nur »noch Tage«, die in der österreichischen Hauptstadt Wien geführten Verhandlungen über das iranische Atomprogramm abzuschließen. Und dennoch ist etwa seit dem 16. Februar, als der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian von »Tagen« sprach, »nicht von Wochen«, die Diplomatie jedenfalls nicht wesentlich vorangekommen.

Und es deutet auch momentan nichts darauf, daß das zuletzt in Verhandlerkreisen für »Montag oder Dienstag« erwartete Abkommen innerhalb der nächsten Stunden vorliegen wird. Zwar scheint man ausgerechnet in Washington noch zu hoffen, von Rußland formulierte Forderungen seien kein Problem, dem Regime in Teheran freilich ist die amerikanische Antwort darauf längst nicht überzeugend genug.

Dabei drängt die Zeit durchaus. Denn mit praktisch jedem Tag, den sich die Verhandlungen in Wien länger hinziehen, nähert sich die Islamische Republik Iran ihrem Ziel, zur Atommacht aufzusteigen. Erst jüngst warnte die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA), die mit der Überwachung der Einhaltung des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) betraut ist, erneut vor den iranischen Fortschritten.

Glaubt Die Zeit vor diesem Hintergrund, noch behaupten zu dürfen, bei den Verhandlungen in Wien gehe es insbesondere den Diplomaten aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten »auch« um den »Schutz von Israel«, hat das mit der Realität weit weniger zu tun als einem recht speziellen deutschen Humor. Jerusalem hat längst deutlich gemacht, was es von den Gesprächen hält.

Tatsächlich geht es den westlichen Diplomaten in der österreichischen Hauptstadt nur noch darum, einen gesichtswahrenden »diplomatischen Erfolg« zu erzielen. Ihr Multilateralismus hat sich – wie der JCPOA und dessen Anwendung – als Rezept erwiesen, das iranische Kernwaffenprogramm zu fördern, nicht, es zu verhindern. Jetzt geht es ihnen nur noch darum, ihr Versagen nicht eingestehen zu müssen.

Bigotte Heuchelei

In der Volksrepublik China sind am Freitag die Paralympischen Spiele 2022 offiziell eröffnet worden. Nicht mit dabei in Peking sind Sportler aus Rußland und Weißrußland, nachdem ihnen zuvor die Teilnahme unter neutraler Flagge zunächst gestattet und nach Boykottdrohungen anderer Delegationen, die offenbar ein Zeichen setzen wollten gegen »Putins Krieg« in der Ukraine, untersagt worden war.

Wie Andrew Parsons, der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) erklärte, habe nach der ursprünglichen Entscheidung, die russischen und weißrussischen Athleten zu den Wettkämpfen zuzulassen, »eine ›sehr hohe Zahl‹ an Komitees, Mannschaften und Athleten [..] mit dem Boykott der Spiele gedroht«, »hinter den Kulissen« sollen auch Regierungen auf das IPC »eingewirkt« haben.

Mit ihrem »Protest« stellen die beteiligten Sportler und ihre Verbände sich freilich ein Armutszeugnis aus: Während sie erfolgreich den Ausschluß russischer und weißrussischer Sportler erzwangen, hatten und haben sie ganz offenkundig nicht die Courage, sich ähnlich engagiert gegen die Volksrepublik China als Austragungsort der Paralympics 2022 einzusetzen. Sie entlarven sich selbst als Heuchler.

Es ist schlicht wenig überzeugend, einerseits, wenn es um den Austragungsort der Wettkämpfe geht, mit »unpolitischem« Sport zu argumentieren, andererseits, bei der Teilnahme russischer und weißrussischer Athleten, aber sehr wohl politisch zu agieren. Mit ihren Boykottdrohungen zeigten Sportler und Verbände, was auch mit Blick auf die Vergabe der Paralympics an Peking möglich gewesen wäre.

Die Sportler und nationalen Paralympischen Verbände, die sich für den Ausschluß der Delegationen aus Rußland und Weißrußland eingesetzt haben, haben damit endgültig auch ihre Teilnahme an den Wettkämpfen in und um Peking politisiert, sie können sich nicht mehr mit einer angeblichen »Unschuld« des Sports herausreden. Sie sind mit ihrer bereitwilligen Teilnahme Komplizen des Regimes von Peking.

Münchener Freiheit

»In einem klaren Augenblick merkte Winston, dass er genauso brüllte wie die anderen und mit der Ferse heftig gegen sein Stuhlbein schlug. Das Schreckliche an den ZweiMinutenHass war nicht, dass man dabei eine Rolle spielen musste, sondern dass es unmöglich war, nicht mitgerissen zu werden. Spätestens nach dreißig Sekunden war jede gespielte Erregung unnötig.« (*)

Während in Moskau und zahlreichen weiteren russischen Städten Menschen mit Repressionen rechnen müssen, äußern sie sich ablehnend über die Politik »ihres« Präsidenten, feuert die bayerische Landeshauptstadt den Chefdirigenten ihrer Münchner Philharmoniker, weil der sich – trotz öffentlicher Aufforderung dazu – jedes öffentlichen Kommentars zum russischen Krieg gegen die Ukraine enthält.

Weil er sich »trotz meiner Aufforderung, ›sich eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren, den Putin gegen die Ukraine und nun insbesondere auch gegen unsere Partnerstadt Kiew führt‹, nicht geäußert« habe, hat der Münchener Oberbürgermeister Dieter Reiter, SPD, den russische Musiker Valery Gergiev als Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker gefeuert.

Und damit auch niemand fragt, welchen Verbrechens sich Valery Gergiev schuldig gemacht hat, gab Katrin Habenschaden, die Zweite Bürgermeisterin der bayerischen Haupstadt, zu Protokoll: »Man kann gar nicht anders, als Gergievs Schweigen als Zustimmung zum Krieg seines Freundes Putin zu verstehen«. In der Tat, Valery Gergiev hat nichts gesagt. Er hat trotz eines erpresserischen Ultimatums geschwiegen.

Valery Gergiev hat den russischen Krieg gegen die Ukraine nicht begrüßt, er hat ihn nicht verurteilt, er hat keine Meinung dazu geäußert, sich enthalten. Für Katrin Habenschaden reicht das, ihm die Unterstützung Wladimir Putins zu unterstellen, für Dieter Reiter, dem nunmehr Ex-Chefdirigenten zu kündigen. Die Münchener Freiheit ist etwas, vor dessen Vorbildwirkung Wladimir Putin et al. sich fürchten sollten.

(*) George Orwell: 1984, München 2021.

Angriff auf die Freiheit

Die Europäische Union plant als Teil einer ganzen Reihe von Reaktionen auf den Einmarsch Moskaus in die Ukraine ein Verbot »russischer Staatsmedien«. Man entwickle, hieß es am Wochenende aus Brüssel, Schritte, die »Medienmaschinerie des Kremls [sic!]« in der EU zum Verstummen zu bringen, die mit ihren »giftige[n] und schädliche[n] Desinformation [..] Streit in der Union zu säen« versuchen sollen.

Das von Ursula von der Leyen, der Präsidentin der Europäischen Kommission, als »beispiellos« gelobte Verbot von Angeboten wie RT oder Sputnik sollte binnen kurzer Zeit wirksam werden. Während die »Medienmaschinerie des Kremls« gegenwärtig noch problemlos in verschiedenen Sprachen erreichbar ist, was man durchaus bedauern kann, müssen solche Verbotsforderungen doch erschrecken.

Die im März 2010 im Amtsblatt der EU veröffentlichte »Charta der Grundrechte der Europäischen Union« sichert in ihrem Artikel 11 »jede[r] Person« ein »Recht auf freie Meinungsäußerung« zu, das »die Meinungsfreiheit und die Freiheit [..], Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben« ganz ausdrücklich einschließt.

Man mag sich darüber aufregen, daß der Kreml seinen Einmarsch in die Ukraine als deren »Entnazifizierung« rechtfertigt – nicht weniger geschmacklos ist es freilich, den russischen Präsidenten Wladimir Putin mit Adolf Hitler gleichzusetzen, wie das ein Twitter-Kanal Kiews tut, mündigen Bürgern den Zugang selbst zu solchen Zeugnissen des Wahnsinns vorenthalten zu wollen, zeugt von totalitärem Denken.

Ein behördlich kuratiertes Medienangebot hat mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung, wie es die EU-Grundrechtecharta beschreibt, wenig zu tun. Desinformationen und Propaganda sind lästige Plagen, ein von behördlichen Wahrheitshütern gepflegtes Medienangebot wäre die schlimmere Plage und alles andere als frei. Mit ihren Verbotsplänen diskreditiert die EU sich selbst und verrät ihre angeblichen Werte.