Gesellschaftskunde (Buchrezension)

Um Üble Zeitgenossen, Zombies und andere neue Rechte (so der Untertitel) geht es in der 199 Seiten langen exklusiven Essay-Sammlung des Autors und Journalisten Wolfgang Brosche. Das Buch sei ein must-read für alle an einer linken Gesellschaftskritik Interessierten (so das Vorwort). Man erwartet also einiges. Und man wird nicht enttäuscht.

Wolfgang Brosche: Panoptikum des Grauens. Üble Zeitgenossen, Zombies und andere Rechte. Verlag Edition Critic: Berlin 2019, 199 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-946193-25-8

In elf sprachlich fulminanten Kapiteln werden Vertreter*innen rechten Gedankenguts unter die Lupe genommen, die in Deutschland leider keinen geringen Einfluss haben und daher verheerenden Schaden anrichten.

Ulrich Greiners Buch Heimatlos. Bekenntnisse eines Konservativen wird zuerst analysiert und Brosche zeigt hier schon, was sich als luzides Destillat bei all diesen zwischen schwarz und braun changierenden Figuren manifestieren wird: ihnen allen gemein ist die Ablehnung einer humanen, modernen Welt, die womöglich – Gott bewahre! – auch noch antikapitalistisch ist und somit ja alles zerstören würde, worauf Konservative seit jeher setzen: Hierarchien, bedingungslose Anpassung, Autoritätshörigkeit.

Entlarvt wird außerdem die »patriarchal-protofaschistische Denkweise« (S. 55) des Philosophen Peter Sloterdijk. Die Texte von Publizist*innen wie Vera Lengsfeld, Jan Fleischhauer, Matthias Matussek oder Henryk Broder werden ebenfalls einer kritischen Lektüre unterzogen, die deren zum Teil ja nur latent rechte Schlagseite ganz klar benennt.

Eines der längsten, interessantesten und treffendsten Kapitel ist denn auch »Die Methode Kelle« (S. 63-96). Dass in der konservativen Welt die Frau unter dem Mann steht, ist evident. Insofern ist Birgit Kelle nur konsequent, wenn sie als überzeugte Antifeministin die nobelste Aufgabe einer Frau in der Mutterschaft sieht. Das ist auch die Sicht des Patriarchats seit Menschengedenken. Um den deutschen Status quo zu zementieren, ist es unabdinglich, Homo- und Transsexualität zu stigmatisieren. Abtreibung zu verdammen. All das zu bekämpfen, was die Welt egalitärer und schöner machen könnte. Denn das wäre ja eine Attacke auf das geliebte, weil Sicherheit gebende, bürgerliche, man könnte auch sagen, erz-reaktionäre, primitive Weltbild. Und wo kämen wir hin, wenn Flüchtlinge, Homosexuelle, Feminist*innen und anderes linkes Gesocks an den jahrhundertealten Privilegien der weißen Cis-Männer rütteln dürften?

Brosche weist darauf hin, wie gerade eine Birgit Kelle, die »nicht die geringste Ahnung von Geschlechterforschung hat« (S. 72), zur Verrohung und Verprollung des politischen Diskurses maßgeblich beiträgt und welche Gefahren es birgt, derartigen Pseudo-Expert*innen überhaupt eine Plattform zu bereiten. Indirekt erwähnt der Autor in diesem Kontext auch den Grundgedanken des Antinatalismus, wenn er Kelles Ablehnung von Abtreibung geißelt: ist es nicht bizarr, wie sich die selbst ernannten Lebensschützer immer nur für den Zellklumpen im Körper der Frau interessieren, nicht aber für das leidende Kind? Dafür führt er schockierende Beispiele wie die über zwei Millionen von Hartz IV lebenden Kinder hierzulande an oder die 150 Kinder pro Jahr, die Opfer der Gewalt und Vernachlässigung durch ihre eigenen Eltern werden.

Die drei K (Kinder, Küche, Kirche), die Birgit Kelle allen Frauen ans Herz legt, sollten im Jahr 2019 keinen derartigen Anklang mehr finden, findet Wolfgang Brosche. Insofern verwundert es nicht, dass sich bei Frau Kelle in erster Linie die Maskulinisten bedanken, die mit Vorliebe bei der Neuen Rechten ihr Unwesen treiben, »die den männlichen Bedeutungsverlust ebenso fürchten wie die nachlassende Potenz und die Ermüdungserscheinungen ihres Gockeltums« (S. 90).

Wir wollen keine neorechten Agitator*innen, die sich als konservativ tarnen, die den Klimawandel ebenso leugnen wie die dringende Notwendigkeit von Feminismus und Antifaschismus in Zeiten des allgemeinen Backlashs! Und genau dazu leistet das neue Buch von Wolfgang Brosche einen nicht hoch genug zu schätzenden Beitrag.

(Dr. Verena Brunschweiger, geb. 1980, studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie/Ethik und promovierte 2007 in der Mediävistik. Sie ist aktive Feministin und arbeitet hauptberuflich als Gymnasiallehrerin. Außerdem ist sie überzeugte Nicht-Mutter.)