Linke Sehnsucht

In der jüngsten Ausgabe des Berliner Wochenblatts Jungle World beschwert sich eine Maria Wöhr über, wie sie meint, »abstruseste linke Reaktionen zur Covid-19-Pandemie«: »Statt das zögerliche staatliche Handeln in Europa zu kritisieren«, kommt die Autorin schnell zur Sache, würden »relevante Teile der linken Szene [..] sich lieber über die ergriffenen Eindämmungsmaßnahmen« beklagen.

Und das geschehe selbst »im zögerlich agierenden Deutschland«, wo der Autorin die ganz und gar unterschiedlichen Jakob Augstein und Clemens Heni unangenehm auffielen. Der eine fragte, »lässt sich der Schutz der Wenigen wirklich nicht ohne Einsperren der Vielen gewährleisten«, der andere »behauptet, die Demokratie und nicht etwa das Gesundheitssystem stehe kurz vor dem Kollaps«:

»Schon jetzt wissen die extremen Rechten wie autoritären Linken, dass es von heute auf morgen möglich ist, alle Theater zu schließen, Demonstrationen zu verbieten, das Asylrecht auszusetzen (also grundgesetzwidrig zu handeln) und Menschen zu Hause einzusperren und nur zum Einkaufen unter Polizeischutz raus zu lassen.«

Die Welt zitierte kürzlich eine repräsentative Umfrage, nach der »fast zwei Drittel der Deutschen [..] bereits mit einer Verschärfung der Einschränkungen« rechnen. »32 Prozent wünschen sich das sogar«. Mindestens jeder dritte Deutsche also sehnt sich offenbar einen Staat herbei, der ihn (oder sie) noch mehr in seinen (oder ihren) Rechten einschränkt, ihn (oder sie) entmündigt, bevormundet.

Eine dieser Deutschen ohne Zweifel ist Maria Wöhr, die sich tatsächlich in einem »zögerlich agierenden Deutschland« wähnt, sich Kritik am »zögerliche[n] staatliche[n] Handeln in Europa« und also weniger zimperliches staatliches Handeln herbeisehnt, Politiker mithin, die »Führung zeigen, statt zu zaudern«, wie vor beinahe einer Woche ein Kommentar des Deutschlandfunks formulierte.

Für Maria Wöhr ist dieses »Führung zeigen« heute »ein Gebot von Vernunft und Solidarität« ebenso wie das blinde (Be-)Folgen. Geht es wenigen schlecht, so soll, nein: muß der Staat dafür sorgen, daß es allen schlecht geht. Und von richtigen Linken erwartet die Autorin, daß sie den Staat dabei noch anfeuern. Bemerkenswert, wie tief eine Zeitung, die einst »Fanta statt Fatwa!« forderte, sinken kann.

1 Comment

  1. Hallo tw, Ihre Kritik ist diesmal völlig daneben. Es geht eben nicht um die Abschaffung der Demokratie, sondern darum, dass Maßnahmen ergriffen werden, um möglichst viele Leute vor einer Ansteckung zu schützen. Oder glauben Sie, das ist alles eine weltweite Verschwörung? Und alle, die zustimmen sind doof, weil sie die negativen Aspekte dieser Strategie überhaupt nicht reflektieren?

    Für mich ist es unverständlich, wie manche diese Maßnahmen einfach zerreden wollen. So als ob das alles eine Bagatelle sei. Ich bin froh, dass diese Art von „Intellektuellen“ in einer Krisenzeit nicht das Sagen hat. Das wäre dann eine wirkliche Katastrophe.

    Rein nebenbei wäre es ganz interessant zu wissen, wie diese Geistesgrößen das aktuelle Problem denn konkret anders lösen wollen. Komisch, darüber habe ich aus dieser Ecke noch nie was vernommen.

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