Bestellte Solidarität

In mehreren deutschen Städten, darunter Berlin, sind an diesem Mittwoch Demonstrationen geplant, deren Teilnehmer ein Zeichen setzen wollen gegen wachsenden Antisemitismus und durch das Tragen einer Kippa dessen Opfern ihrer Solidarität versichern möchten. So richtig und wichtig das Anliegen ist, so ungeeignet scheinen aber doch die Demonstrationen in der vorgesehenen Form.

Das beginnt schon bei den Organisatoren der Demonstrationen, jüdischen Verbänden. Es ist ein Armutszeugnis, daß der Protest gegen Antisemitismus von dessen Opfern initiiert wird oder werden muß. Die erhoffte und erwünschte Solidarität wird eine bestellte sein, selbst wenn sie eine ehrliche seub sollte. Doch die Probleme werden noch größer durch die Offenheit der Demonstrationen.

Teilnehmen kann offenbar jeder, der nur will. Und so werden den auch jede Menge Teilnehmer erwartet, an denen der eine oder andere Zweifel angebracht sein sollte. Was beispielsweise ist von Regierungsparteien zu halten, die die sich weigern, Jerusalem als Hauptstadt Israels zu akzeptieren, Parteien, deren Stiftungen mit Organisationen kooperieren, die der BDS-Bewegung nahestehen?

Doch auch Vertreter der Oppositionsparteien im deutschen Bundestag haben sich angesagt, ansagen können, allen voran Repräsentanten einer Partei, deren Führung stolz sein will auf »Leistungen« deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen. Einer dieser Waffengänge machte die nahezu komplette Vernichtung das europäischen Judentums möglich. Wie glaubwürdig ist dieser Partei Solidarität?

Nun dürfen sie sich alle für die Dauer der Demonstrationen als Juden ausgeben, indem sie die Kippa tragen. Werden sie dabei tatsächlich fühlen, was Juden befürchten, ignorieren sie die jüngste Warnung des Zentralrats der Juden in Deutschland davor, sich in Großstädten öffentlich als Jude erkennbar zu zeigen? Die zahlreich eingesetzte Polizei wird das sicherlich zu verhindern wissen.

Spätestens ab Donnerstag werden Juden in Deutschland wieder um ihre Gesundheit fürchten müssen, während die Mehrheitsgesellschaft besten Gewissens zur Normalität übergehen dürfte. Und einige werden sich in der Annahme bestärkt fühlen, daß Kampf gegen Antisemitismus bedeutet, Migration zu verteufeln und Migranten zu stigmatisieren. Keine optimistisch stimmende Aussicht.