Loyalitätskrise

Nachdem die bis dahin regierende Große Koalition in Jerusalem ihre ohnehin knappe parlamentarische Mehrheit verloren hatte, fanden in Israel vorgezogene Parlamentswahlen zur 25. Knesset statt. Der Likud errang dabei zwar die meisten Stimmen, der Partei Benjamin Netanjahus gelang es trotz einer merklich höheren Wahlbeteiligung jedoch nicht, prozentual oder absolut Stimmen hinzuzugewinnen.

Auf dem zweiten Platz landete – wenn auch mit Abstand zum Likud – Yesh Atid, die führende Partei der bisherigen Regierungskoalition. Die Partei von Yair Lapid konnte im Vergleich zur 24. Knesset-Wahl mehr Stimmen auf sich vereinigen und auch ihren prozentualen Anteil ausbauen. Verlor der Likud 0,8 Prozentpunkte und kam auf 23,41 %, legte Yesh Atid um 3,8 Prozentpunkte auf 17,79 % zu.

Hätte es sich ob dieses Wahlausgangs womöglich empfohlen, eine Regierungskoalition zu bilden, der Likud, Yesh Atid und eine oder zwei kleinere Parteien angehören, entschied sich Benjamin Netanjahu eine konservativ-rechte Koalition zu formen, der auch Politiker angehören sollten, die »umstritten« zu nennen untertrieben wäre. Zwar ist die so entstandene Regierung fraglos demokratisch legitimiert.

Allerdings ließe sich wohl darüber diskutieren, ob sie tatsächlich den im Wahlergebnis gespiegelten Wünschen des Souveräns entspricht. Unübersehbar jedenfalls ist, daß größere Teile der israelischen Gesellschaft, nicht bloß ein paar »linke« Extremisten, mit der Regierung in Jerusalem hadern. Gegen sie wird demonstriert, Teile der Wirtschaft erwägen den Abzug aus Israel, in der Armee regt sich Unmut.

Mit Mühe und Not gelang es der staatlichen Fluggesellschaft El Al kürzlich, ein Besatzung zu finden, die sich bereit zeigte, Premierminister Benjamin Netanjahu zum Staatsbesuch in Italien zu fliegen, schon wird – bisher ein undenkbarer Gedanke – über einen »Streik« von Reservisten der Sicherheitskräfte spekuliert und denkbare Auswirkungen auf die Verteidigungsfähigkeit des jüdischen Staates.

Und dennoch scheint die Regierung in Jerusalem noch nicht gewillt, angemessen auf den breiten gesellschaftlichen Aus- und Aufstand zu reagieren. Durch Beschimpfungen jedenfalls läßt sich die sich abzeichnende Krise vermutlich kaum verhindern, eher scheinen die geeignet, die Konflikte zuzuspitzen. Eine Regierung, die sich vorgenommen hat, vier Jahre im Amt zu bleiben, sollte entsprechend agieren.