Schlagwort: Demokratie

Vor- und Feindbild

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hat sich mit seiner Ankündigung, die geplante Justizreform aussetzen zu wollen, vorerst Zeit gewonnen. Während Demonstrationen von Unterstützern des Vorhabens bisher überschaubar blieben, dürfte der breite gesellschaftliche Ausstand dagegen erneut aufflammen, sollte die Koalition ihre Reformen in den nächsten Wochen weiter voranzutreiben versuchen.

Daß der Premier die Zustimmung seines Ministers Ben Gvir zur Aussetzung der Reformbemühungen mit dem Versprechen »eigener« bewaffneter Sicherheitskräfte »erkaufte«, deutet jedenfalls darauf hin, daß die gesellschaftliche Krise längst nicht überwunden oder eine Zuspitzung abgewendet ist. Noch blieben und endeten die Demonstrationen gegen die Regierung – von Ausnahmen abgesehen – friedlich.

Damit allerdings erweist sich, wie tief verwurzelt, wie selbstverständlich zivilisierte Formen der politischen Auseinandersetzung im jüdischen Staat sind, wie stark die jüdische Demokratie tatsächlich ist. Während gerade repräsentative Umfragen die unter »Palästinensern« erschreckend breite Unterstützung auch und gerade terroristischer Gewalt dokumentieren, bewährt sich die Demokratie in Israel in der Krise.

Auf diese Weise ist und bleibt Israel ein leuchtendes Beispiel für zahlreiche Menschen in der Region. Für andere, und manche von ihnen behaupten von sich, »Menschenrechtsaktivisten« zu sein, bleibt es gerade deshalb Ziel ihrer verleumderischen Angriffe. Amnesty International und Co., diese billigen Cheerleader von Blutsäufern vom Schlage eines Abu Mazen, diskreditieren sich damit freilich nur selbst.

Loyalitätskrise

Nachdem die bis dahin regierende Große Koalition in Jerusalem ihre ohnehin knappe parlamentarische Mehrheit verloren hatte, fanden in Israel vorgezogene Parlamentswahlen zur 25. Knesset statt. Der Likud errang dabei zwar die meisten Stimmen, der Partei Benjamin Netanjahus gelang es trotz einer merklich höheren Wahlbeteiligung jedoch nicht, prozentual oder absolut Stimmen hinzuzugewinnen.

Auf dem zweiten Platz landete – wenn auch mit Abstand zum Likud – Yesh Atid, die führende Partei der bisherigen Regierungskoalition. Die Partei von Yair Lapid konnte im Vergleich zur 24. Knesset-Wahl mehr Stimmen auf sich vereinigen und auch ihren prozentualen Anteil ausbauen. Verlor der Likud 0,8 Prozentpunkte und kam auf 23,41 %, legte Yesh Atid um 3,8 Prozentpunkte auf 17,79 % zu.

Hätte es sich ob dieses Wahlausgangs womöglich empfohlen, eine Regierungskoalition zu bilden, der Likud, Yesh Atid und eine oder zwei kleinere Parteien angehören, entschied sich Benjamin Netanjahu eine konservativ-rechte Koalition zu formen, der auch Politiker angehören sollten, die »umstritten« zu nennen untertrieben wäre. Zwar ist die so entstandene Regierung fraglos demokratisch legitimiert.

Allerdings ließe sich wohl darüber diskutieren, ob sie tatsächlich den im Wahlergebnis gespiegelten Wünschen des Souveräns entspricht. Unübersehbar jedenfalls ist, daß größere Teile der israelischen Gesellschaft, nicht bloß ein paar »linke« Extremisten, mit der Regierung in Jerusalem hadern. Gegen sie wird demonstriert, Teile der Wirtschaft erwägen den Abzug aus Israel, in der Armee regt sich Unmut.

Mit Mühe und Not gelang es der staatlichen Fluggesellschaft El Al kürzlich, ein Besatzung zu finden, die sich bereit zeigte, Premierminister Benjamin Netanjahu zum Staatsbesuch in Italien zu fliegen, schon wird – bisher ein undenkbarer Gedanke – über einen »Streik« von Reservisten der Sicherheitskräfte spekuliert und denkbare Auswirkungen auf die Verteidigungsfähigkeit des jüdischen Staates.

Und dennoch scheint die Regierung in Jerusalem noch nicht gewillt, angemessen auf den breiten gesellschaftlichen Aus- und Aufstand zu reagieren. Durch Beschimpfungen jedenfalls läßt sich die sich abzeichnende Krise vermutlich kaum verhindern, eher scheinen die geeignet, die Konflikte zuzuspitzen. Eine Regierung, die sich vorgenommen hat, vier Jahre im Amt zu bleiben, sollte entsprechend agieren.

Alptraumpolitiker

In Israel haben am Wochenende erneut viele Menschen gegen Pläne der Regierung in Jerusalem für eine Justizreform demonstriert. Allein in Tel Aviv versammelten sich etwa 160.000 Menschen, um ihren Unmut über die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu öffentlich zu machen. Auch aus weiteren Städten wurden Proteste gemeldet, auf die der Regierungschef reichlich unsouerän reagierte.

Zwar seien die meisten Teilnehmer der Demonstrationen loyale Staatsbürger, erklärte der Likud-Politiker nach Angaben der Tageszeitung Jerusalem Post, sie liefen allerdings »Extremisten« hinterher, die sie manipulierten und die Absicht hätten, Israel Neuwahlen zur Knesset aufzuzwingen. Eine »extremistische und gefährliche Gruppe«, die die Demonstrationen organisiere, wolle »Chaos im Land stiften«.

Während es nachvollziehbar ist, daß Benjamin Netanjahu die laute Kritik an seiner Regierung nicht eben mit Beifall beantwortet, überschreitet er eine Grenze, wenn er – ausgerechnet er, dessen Partei in der Vergangenheit durchaus die eine oder andere Selbstauflösung der Knesset provozierte! – Parlamentswahlen als »Chaos« diskreditiert und politischen Dissens in die Nähe von Extremismus zu rücken versucht.

In der Tat wüßten viele Bürger Israels es wohl zu schätzen, dauerte eine Legislaturperiode nicht nur in der Theorie vier Jahre, ein zumal ja selbst »nur« demokratisch legitimierter Politiker sollte davon absehen, das Mittel auch verfrühter Wahlen zu diskreditieren. In demokratisch verfaßten Staaten ist Macht »nur« verliehen, verliehen in Wahlen, und Macht muß sich ständig gegenüber dem Souverän rechtfertigen.

Es hat in den letzten paar Jahren Zeiten gegeben, in denen galt der Gedanke an einen »König Bibi« nicht als Schreckensszenario, weil der so Bezeichnete mit Gelassenheit, Argumenten und Handeln zu überzeugen wußte, statt mit wüsten Beschimpfungen Zweifel an seiner Zurechnungs- und Demokratiefähigkeit zu wecken. Es wäre wünschenswert, Benjamin Netanjahu erweckte wenigstens den Eindruck von Vernunft.

Beschämende Niveaulosigkeit

Mit dem Tod eines Achtjährigen, der beim jüngsten Anschlag eines »palästinensischen« Terroristen in der israelischen Hauptstadt Jerusalem schwer verletzt worden war, ist die Zahl der Todesopfer des Angriffs auf nunmehr drei gestiegen. Der seinen Verletzungen erlegene Junge ist ein Bruder des ebenfalls am Freitag ermordeten Sechsjährigen. Zwei weitere Opfer der Attacke kämpfen weiter mit ihren schweren Verletzungen.

Während noch unklar ist, ob sie den Tod bezwingen werden, hat Tally Gotliv, eine Abgeordnete des Likud im israelischen Parlament, Esther Hayut, der Präsidentin des Obersten Gerichtshofs in Jerusalem, vorgeworfen, sie sei für den Anschlag vom Freitag verantwortlich. Die Juristin hätte mit ihrer Kritik an den von Premier Benjamin Netanjahu vorangetriebenen Plänen für eine Justizreform den Angriff vom Freitag begünstigt.

Kritik an der Regierung in Jerusalem, so die Logik der Vertrauten des israelischen Ministerpräsidenten, erwecke den Eindruck, die israelische Nation sei »geschwächt« und daher »angreifbar«. Esther Hayut sei daher verantwortlich für den Anschlag. Tatsächlich werfen die geschmacklosen Vorwürfe ein Schlaglicht auf das nicht eben gesunde politische Klima in Israel. Zwar erntete Tally Gotliv auch aus dem Regierungslager Kritik.

Es ist jedoch bezeichnend, daß sich Premier Benjamin Netanjahu bisher nicht hinter Esther Hayut gestellt hat, die Präsidentin eines Verfassungsorgans. Genau das nämlich wäre die Aufgabe eines verantwortungsbewußten Regierungschefs: die Institutionen der Demokratie gegen Angriffe zu verteidigen, denen jeder Anstand fehlt. Das Niveau Tally Gotlivs sollte nicht repräsentativ sein für das der politischen Debatten in Israel.

Demokratische Selbstverständlichkeiten

In Israel haben sich am Sonnabend erneut zahlreiche Menschen an Demonstrationen »gegen die Rechtsregierung« unter Premierminister Benjamin Netanjahu beteiligt. In Tel Aviv sollen sich mehr als 80.000 Menschen an den Protesten beteiligt haben; deutlich überschaubarer waren die Demonstrationen in anderen Metropolen des Landes, darunter die israelische Hauptstadt Jerusalem und Haifa.

War es den Protestierenden vor Wochenfrist noch mühelos gelungen, das Niveau der Satisfaktionsfähigkeit zu verfehlen, scheinen ausgerechnet dem »faschistischen Regime« in Jerusalem nachgesagte Anweisungen an die Sicherheitskräfte, die Benutzung nationalsozialistischer Symbolik gegebenenfalls durch Verhaftungen zu unterbinden, eine gewisse Versachlichung der Proteste herbeigeführt zu haben.

Gleichwohl bleibt eine »Kritik« fragwürdig, die mit inflationierten »Faschismus«-Vorwürfen nicht »nur« Antisemiten in aller Welt, darunter Regimes wie die in Teheran, Gaza oder Ramallah, in die Hände spielt, sondern eben diesen und dessen Verbrechen schamlos verharmlost. Und müßte nicht gerade auf das Parlament statt auf Straßenkampf setzen, wer jedenfalls vorgibt, »Faschismus« verhindern zu wollen?

Die Wahl zur 25. Knesset hat am 1. November 2022 stattgefunden, vor nicht einmal drei Monaten, die Regierung in Jerusalem verfügt in ihr über eine demokratisch legitimierte Mehrheit. Allein Benjamin Netanjahus Likud konnte bei der Wahl trotz einiger Verluste bei größerer Wahlbeteiligung noch etwas mehr als 1.1 Millionen Stimmen erringen und war damit die stärkste aller zur Wahl stehenden Parteien.

Wären die Knesset, wäre die Regierung in Jerusalem schlecht beraten, ignorierten sie Großdemonstrationen wie die in Tel Aviv, wäre es zugleich kein Ausweis funktionierender demokratischer Zustände, würde die politische Entscheidungsfindung auf die Straßen Tel Avivs verlegt. Wer die Institutionen der Demokratie erhalten will und sie stärken, muß sich ihrer auch bedienen, selbst wenn das mühsam scheint.

Kernkompetenz: Sohn

Während Benjamin Netanjahu sich anschickt, der nächste israelische Ministerpräsident zu werden, macht auch Yair Netanjahu wieder Schlagzeilen, dessen größte Leistung in seinem bisherigen Leben darin besteht, der Sohn seines Vaters zu sein. Und so würde wohl auch diesmal kaum jemand Notiz von Yair Netanjahu nehmen, ginge es in seinen jüngsten Äußerungen nicht einmal mehr um Benjamin Netanjahu.

Dem Likud-Politiker werden in fünf Fällen Bestechlichkeit und Vorteilsnahme vorgeworfen, nach langen Ermittlungen wurde Ende 2019 gegen ihn schließlich Anklage erhoben und im Frühjahr 2020 der Prozeß wegen Korruption eröffnet, der das zuständige Bezirksgericht in Jerusalem und den Angeklagten noch Jahre beschäftigen könnte. Im Rechtsstaat Israel steht auch ein Ministerpräsident nicht über dem Gesetz.

Das hat Benjamin Netanjahu, der sich freilich vom Amt erhofft, Einfluß auf »sein« Verfahren nehmen zu können, gelernt, Yair Netanjahu dagegen hat das für Demokratien basale Prinzip der Gewaltenteilung offenbar noch immer nicht begriffen: In einem Rundfunkgespräch beließ er es nicht bei Vorwürfen gegen die israelische Justiz, sondern forderte für Ermittler und Kläger im Prozeß seines Vaters die Todesstrafe.

Zwar war auch Benjamin Netanjahu – selbst als amtierender Ministerpräsident – nicht eben zurückhaltend mit der Justiz umgegangen und ihr durchaus etwa »Verrat« vorgehalten. Davor allerdings, für seine Ankläger die Todesstrafe zu fordern, bewahrte Benjamin Netanjahu seine Vernunft dann doch noch. Daß er jetzt einerseits von Meinungsfreiheit spricht, aber seinem Sohn nicht zustimmt, spricht nicht gegen ihn.

Demokratische Normalität

Nach eineinhalb Jahren in der Opposition und einem Erfolg des politisch rechten Lagers bei vorgezogenen Parlamentswahlen schickt sich Benjamin Netanjahu an, erneut das Amt des israelischen Ministerpräsidenten zu übernehmen. Und obschon die neue Regierung die Amtsgeschäfte noch gar nicht übernommen hat, gelten ihr umfangreiche Kritik und, vor allem aus dem Ausland, maßloses Ressentiment.

Israel ist eine Demokratie, die einzige im Nahen Osten. Das heißt leider nicht, daß alles reibungslos funktioniert: Vor allem scheint es schwierig in Israel, verläßliche Aussagen über die Dauer einer Legislatur zu machen. Theoretisch wird ein Parlament für vier Jahre gewählt, das eine Regierung bestimmt. Praktisch ist die von Premier Yair Lapid geführte Regierung seit Juni 2021 im Amt, aber längst ohne Mehrheit.

Die daher angesetzten Neuwahlen zur nunmehr 25. Knesset am 1. November brachten für die amtierende Koalition keine Mehrheit mehr, obwohl Yesh Atid, die Partei des amtierenden Premiers, deutlich zulegen konnte. Gestärkt wurde das »rechte« Lager, wobei dort Benjamin Netanjahus Likud als führende Partei trotz höherer Wahlbeteiligung ihr Ergebnis aus den vorherigen Wahlen nicht mehr erreichen konnte.

Auch wenn die neueste von Benjamin Netanjahu geschmiedete Koalition über eine deutlichere parlamentarische Mehrheit verfügt als die amtierende Regierung zu Beginn ihrer Amtszeit, ist damit schon die Grundlage gelegt für einen vorzeitigen Bruch im »rechten« Lager, zumal auch Premier Benjamin Netanjahu eher aus persönlichen Gründen ins Amt strebte denn aus authentischen politischen Überzeugungen.

Und so dürfte denn auch die 25. Knesset sich vorzeitig auflösen müssen, um vermutlich eher früher als später neue Parlamentswahlen ansetzen zu können. Spekulationen darüber, ob Benjamin Netanjahus jüngste Wiederkehr dann seine letzte gewesen sein wird, verbieten sich freilich. Das wurde mancherorts schon zu oft vorhergesagt. Hoffen indes darf man, die jüdische Demokratie, sie wird weiter funktionieren.

Amerikakundler

Das islamistische Regime in Teheran steckt in einer tiefen Legitimitätskrise, die sich durch die andauernden Proteste einer- und die brutalen Reaktionen der Mullahs darauf andererseits täglich verschärft. Vielleicht sind die Tage der Grünen Revolution, die inzwischen schon Schulmädchen zu Tode prügelt, die das Loblied auf sie verweigern, noch nicht gezählt, ihre Wochen sind es mit einiger Sicherheit.

Wie schlecht es um um sie tatsächlich steht, das zeigte der jüngste Auftritt Ayatollah Seyed Ali Khameneis, der sich in einer Rede vor »Studenten« ausführlich den Vereinigten Staaten, einem der »Erzfeinde«, widmete und Amerika den baldigen Zusammenbruch vorhersagte. »Eines der Anzeichen für den Niedergang Amerikas« sei »die Wahl von Leuten wie dem derzeitigen und dem ehemaligen Präsidenten«.

Mit Donald J. Trump hätten die Amerikaner einen »Verrückten« zum Präsidenten gewählt und es mit ihrer Entscheidung für Joe Biden als Amtsnachfolger nicht wesentlich besser gemacht. »Das ist ein Zeichen für den Zerfall einer Nation, das sind Zeichen für den Verfall der Zivilisation [in Amerika].« Bei seiner Analyse berief der greise »Revolutionsführer« sich allerdings ausgerechnet auf die beiden Politiker.

Hätte der eine doch erklärt, die Vereinigten Staaten stünden am Abgrund, während der andere sie bereits aus eben diesem retten wolle. Daß damit beide, Joe Biden wie Donald J. Trump, vorführen, was Demokratie ausmacht, nämlich die Fähigkeit zu einer Kritik, die das System nach durchaus widerstrebenden Vorstellungen verbessern soll, entging dem »geistlichen Oberhaupt« der Islamischen Republik freilich.

Selbstkritik dürfte dem Weltbild Ayatollah Seyed Ali Khameneis indes so fremd sein wie die Vorstellung, daß unterschiedliche Gesellschaftsentwürfe gleichberechtigt diskutiert und zur Wahl gestellt werden, sich dem Urteil jener stellen müssen, über deren Leben sie schließlich bestimmen. Die Vereinigten Staaten gehen deshalb noch lange nicht unter; das islamistische Regime in Teheran aber werden sie sicher überleben.

Stabile Demokratie

Am Dienstag sind die Bürger Israels aufgerufen, über die Zusammensetzung der 25. Knesset zu bestimmen, des Parlaments in der israelischen Hauptstadt Jerusalem. Eineinhalb Jahre nach der letzten Parlamentswahl am 23. März 2021, die dem Land im Juni 2021 einen Ministerpräsidenten bescherte, der nicht Benjamin Netanjahu hieß, dreht sich freilich auch diese Abstimmung vor allem um den Likud-Politiker.

Denn es gibt in Israel noch genügend Wähler, die die Vorstellung einer wieder von Benjamin Netanjahu geführten Regierung in Jerusalem hinreichend attraktiv finden, dem konkurrierenden politischen Lager die Unterstützung zu verweigern. Zwar hat sich Benjamin Netanjahu verdient gemacht um den jüdischen Staat, gleichwohl hat er mit seiner Selbstherrlichkeit dem demokratischen System auch massiv geschadet.

Und auch bei dieser Wahl dürfte es Benjamin Netanjahu wieder vor allem darum gehen, als Premier Einfluß nehmen zu können auf das noch immer gegen ihn laufende Verfahren, in dem ihm Korruption vorgeworfen wird, und weniger um die Interessen des Landes. Davon jedenfalls, glaubwürdig für Werte stehen zu können, sind Benjamin Netanjahu und der von ihm dominierte Likud gegenwärtig weit entfernt.

Ließ der Langzeit-Premier bereits frühere Regierungen in schwierigen Situationen allein wegen der Hoffnung platzen, gestärkt aus Neuwahlen hervorgehen zu können – was ihm allerdings nicht gelingen sollte -, versuchte er als Oppositionspolitiker, der Regierung auch – und gerade – dann zu schaden, wenn er dafür angeblich »eigene« politische Überzeugungen und damit »seine« Klientel verraten mußte.

Daß die bereit scheint, Benjamin Netanjahu und dem an ihn geketteten Likud ihre taktischen »Spielereien« zu vergeben, ist dabei nur die eine Seite der Medaille. Auch die derzeitige Regierungskoalition vermag offenbar nicht mehr ausreichend zu überzeugen. Ihre ohnehin knappe parlamentarische Mehrheit hat sie aus eigenem Unvermögen verspielt, immerhin hielt sie dabei jedoch vergleichsweise lang.

Und so dürfte es am Mittwoch erneut keinen strahlenden Gewinner geben, der den Wahlsieg aus eigener Kraft erringen konnte. Weil die Wähler ihren politischen Überzeugungen treu bleiben, egal, wer ihnen gerade als Spitzenkandidat vorgesetzt wird, wird das Wahlergebnis wieder ausfallen wie schon bei all den Wahlen der vergangenen Jahre, werden beide politischen Lager ähnlich viele Mandate erringen.

Überraschend – und beunruhigend – wäre allein ein anderer Wahlausgang. Und auch diese Vorhersehbarkeit, so wenig zufriedenstellend sie derweil sein mag, ist ein Merkmal einer dann doch recht stabilen Demokratie. Denn häufige Wahlen bedeuten eben auch, daß allzu große politische Umwälzungen ausfallen. So halten fragile Mehrheiten und funktionierende Institutionen politische Hitzköpfe in Schach.

Lupenreine Demokratin

Annalena Baerbock, sie fungiert als deutsche Außenministerin, hat sich im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Prag nach übereinstimmenden Berichten dazu geäußert, wem ihre Loyalität gilt: »Ich werde die Ukraine an die erste Stelle setzen, egal was meine deutschen Wähler denken oder ob sie demonstrieren«, werden ihre englischsprachigen Aussagen etwa auf Twitter übersetzt und zusammengefaßt.

Die Tageszeitung Die Welt gibt die von der Partei Bündnis 90/Die Grünen ins Kabinett Olaf Scholz’ geschickte Politikerin auf ihrer Website etwas ausführlicher, inhaltlich aber durchaus gleichlautend wieder: »Wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe: ›Wir stehen an eurer Seite, solange ihr uns braucht‹, dann werde ich diese Versprechen einhalten. Egal, was die deutschen Wähler denken«.

Es gibt gute Grüne, die Ukraine und die ukrainische Bevölkerung gegen die russischen Versuche zu unterstützen, das Land zu »entnazifizieren« und als Staat auszulöschen. Gleichwohl zeugt es nicht eben von politischer Klugheit, sich als deutsche Außenministerin einfach mal bedingungslos »den Menschen in der Ukraine« zu unterwerfen, zumal auch und gerade dieses Kollektiv wohl eher ein imaginäres ist.

Sagt die deutsche Ministerin sich und die Regierung, der sie angehört, prophylaktisch vom deutschen Souverän los, offenbart sie sich als ziemlich lupenreine Demokratin. Dabei sind es doch »unsere gemeinsamen weltweiten Werte, die in der Ukraine auf dem Spiel stehen«, darunter »das Recht von Bürgerinnen und Bürgern, egal wo auf dieser Welt, den Weg für sich selbst, für ihr Land selbst zu bestimmen«.

Wie können »die deutschen Wähler« im Gegensatz zu »den Menschen in der Ukraine« nicht zu dieser »weltweiten Gemeinsamkeit« gehören? Und, sollten sie tatsächlich einen eigenen, einen »deutschen Weg« gehen wollen, was gewiß keine Premiere wäre, weshalb sollte ihre Regierung sich dann nicht verpflichtet fühlen, dieses »Recht«, »den Weg für sich selbst, für ihr Land selbst zu bestimmen«, umzusetzen?

Die arrogant-autoritäre Haltung Annalena Baerbocks ist ein Affront, den ein Bundeskanzler, hätte er Rückgrat und so etwas wie ein Gewissen, nur mit einer Entlassung beantworten könnte, zumal die deutsche Ukraine-Politik, wie andere europäische Demokratien zeigen, nicht alternativlos ist. Annalena Baerbock kann argumentativ nicht überzeugen, also beschimpft sie »die deutschen Wähler«. Sie ist damit unhaltbar.

Nachtrag: Nachdem gesagt wurde, was gesagt wurde, soll es sich bei Annalena Baerbocks zitierten Äußerungen um »Desinformation von der Stange« handeln, für die ihr Auswärtiges Amt, das sich einen Beauftragten hält für strategische Kommunikation, ein »sinnentstellend zusammengeschnittenes Video, geboostert von prorussischen Accounts« verantwortlich macht.