Schlagwort: Benjamin Netanjahu

Selbstüberschätzung

Nachdem sich bereits der amerikanische Präsident Donald J. Trump für ihn eingesetzt hatte, hat nun auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Präsident Isaac Herzog um seine Begnadigung ersucht. Dem Likud-Politiker werden in einem seit geraumer Zeit laufenden Verfahren Vorteilsnahme und Bestechlichkeit vorgeworfen. Der Prozeß, argumentiert Benjamin Netanjahu in seinem Gnadengesuch, behindere ihn in seiner Arbeit als Regierungschef.

In der Tat dürfte es gerade in Kriegszeiten nicht einfach sein, einer Regierung vorzustehen und sich gleichzeitig mit der notwendigen Aufmerksamkeit vor Gericht gegen Korruptionsvorwürfe zu wehren. Zieht sich der Prozeß gegen den trotz der gegen ihn erhobenen Vorwürfe immer wieder nach dem Amt strebenden und in ihm auch immer wieder bestätigten Politiker seit 2020 hin, scheint Arbeitsüberlastung allerdings auch ein wenig überzeugendes Argument.

Nachdem Benjamin Netanjahu zuvor – als noch gegen ihn ermittelt wurde – bereits mehrere Regierungskoalitionen vorzeitig hatte platzen lassen, gingen aus den bisher letzten Parlamentswahlen in Israel im Herbst 2022 das »rechte« politische Lager und er mit seinem Likud als Sieger hervor, wenn auch nicht mit der erhofften deutlichen Mehrheit. Bevor er antrat, hätte Benjamin Netanjahu jedoch ahnen können, welche Belastungen auf ihn zukommen.

Freilich, den barbarischen Überfall der Hamas auf den jüdischen Staat am 7. Oktober 2023 konnte der Politiker nicht vorhersehen. Dennoch wirkt es unanständig, wenn Benjamin Netanjahu sein Gnadengesuch mit den Mehrbelastungen aus dem Israel aufgezwungenen Mehrfrontenkrieg begründet. Denn daß die islamistische »Achse des Widerstands« Israel überhaupt so schwer treffen konnte, ist auch eine Folge politischer (Fehl-)Entscheidungen des Regierungschefs.

Spiegelt nun einerseits sein Gesuch die Überzeugung von der eigenen Unfehlbarkeit und einer darauf gründenden Unersetzbarkeit im Amt, argumentiert es andererseits ausgerechnet mit den Ergebnissen dieser Fehler, für die Benjamin Netanjahu ja zumindest politisch verantwortlich ist. Und die eben Zweifel an seiner Einzigartigkeit nähren. Überzeugender wäre es daher, der Premier gönnte sich die Pause vom Amt, seinen Kampf vor Gericht mit voller Kraft zu führen.

Unterschätzte Errungenschaft

Der amerikanische Präsident Donald J. Trump hat die Regierung in Jerusalem vor einer förmlichen Annektion (von Teilen) der umstrittenen Gebiete gewarnt. In einem vom Time Magazine veröffentlichten Interview erklärt der Republikaner, er habe »den arabischen Staaten« sein Wort gegeben, daß dies nicht geschehen werde. »Israel würde in diesem Fall jede Unterstützung durch die Vereinigten Staaten verlieren.«

Während im israelischen Parlament, der Knesset in Jerusalem, mehrere Gesetzesvorlagen diskutiert werden, den Geltungsbereich israelischen Rechts auf die umstrittenen Gebiete oder Teile davon auszuweiten, dürfte Jerusalem den Worten Donald J. Trumps durchaus die gebotene Achtung schenken, zumal Premier Benjamin Netanjahu und große Teile seines Likud solche Schritte jedenfalls gegenwärtig erklärtermaßen ablehnen.

Insofern rennt auch Marco Rubio, der amerikanische Außenminister, in der israelischen Hauptstadt lediglich offene Türen ein, wenn er dort erklärt, »zum jetzigen Zeitpunkt halten wir das für kontraproduktiv«. Damit läßt er freilich offen, ob das Weiße Haus diese Ansicht auch zukünftig noch vertreten wird. Und das ist zugleich womöglich durchaus besser, als die Vereinigten Staaten ohne große Not auf ewig festzulegen.

Der jüdische ist ein Rechtsstaat, von dem Menschen in anderen Teilen des Nahen Ostens und in vielen Staaten der Welt nur träumen können, falls sie es überhaupt wagen. Rechtsstaatliche Verhältnisse in den umstrittenen Gebieten, in denen derzeit israelisches Recht für »Siedler« gilt, osmanische, britische oder jordanische Regelungen und die Willkür Ramallahs dagegen für »Palästinenser«, könnten daher auch ein Fortschritt sein.

Held des Tages

Während die ersten der verbliebenen jüdischen Geiseln der Hamas durch die israelischen Streitkräften nach Israel transportiert wurden, landete die Maschine des amerikanischen Präsidenten auf dem Airport Ben Gurion. Auf Donald J. Trumps Plan stehen eine Rede im israelischen Parlament, der Knesset, Gespräche mit Premier Benjamin Netanjahu und Treffen mit zurückgekehrten Geiseln und Angehörigen, bevor er im ägyptischen Sharm El Sheikh erwartet wird.

Dort soll eine »Friedenskonferenz« stattfinden, zu der Washington und Kairo eingeladen und zu der zahlreiche Regierungschefs, darunter der deutsche Kanzler Friedrich Merz, sich aufgemacht haben nach Ägypten. Auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat, wohl auf Einladung seines Gasts aus Washington, kurzfristig seine Teilnahme zu- und doch wieder abgesagt. In Gaza demonstrieren derweil paradierende »Kämpfer« der Hamas ihren Herrschaftsanspruch.

Ist mit der hoffentlich baldigen Übergabe der in der Gewalt und von der islamistischen Terrororganisation ermordeten jüdischen Geiseln ein Ziel Jerusalems in der Israel aufgezwungenen Auseinandersetzung wohl erreicht, zeigt die offene Präsenz der islamistischen Terroristen in dem Gebiet, daß das andere Kriegsziel Israel, nämlich die Zerschlagung der Terrororganisation, weiterhin aktuell ist. Mit der Hamas bleiben Stabilität und ein anhaltender Frieden unmöglich.

Der deutsche Außenminister Johann Wadephul floskelt unterdessen, »sowohl Israel als auch die Palästinenser hätten erkannt, daß mit Gewalt keine Lösung zu erzielen sei«, während bereits erste aus Gefängnissen in Israel entlassene »palästinensische« Terroristen, die dort teils lebenslange Haftstrafen verbüßten, mit begeistertem Beifall und Jubel in Gaza begrüßt wurden. Ist der Held des Tages – neben den jüdischen Geiseln – ein Amerikaner und kein Deutscher, hat das einen Grund.

»Fahrplan« für einen Frieden

Nach Beratungen zwischen Präsident Donald J. Trump und dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu hat das Weiße Haus am Montag seinen »Umfassenden Plan zur Beendigung des Gaza-Konflikts« veröffentlicht. Das nunmehr 20 Punkte umfassende Papier verspricht eine »sofortige« Waffenruhe in Gaza, sobald »dieser Vorschlag von beiden Seiten akzeptiert wird«, und soll zugleich ein Fahrplan sein für dauerhaften Frieden im Nahen Osten.

Nach einem daran anschließenden vorbereitenden Teilrückzug der israelischen Streitkräfte in Gaza und »innerhalb von 72 Stunden, nachdem Israel dem Vorschlag öffentlich zugestimmt hat«, könnten danach alle jüdischen Geiseln aus der Gewalt ihrer islamistischen Entführer freikommen, während Israel 250 zu mindestens lebenslänglicher Haft verurteilte »Palästinenser« begnadigt und zusammen mit 1.700 weiteren gefangenen Terroristen freiläßt.

Hamas-Terroristen, die ihre Waffen abgeben und der Gewalt abschwören, sollen amnestiert werden und können, sofern sie es wünschen, das Gebiet verlassen. Gleichwohl wird kein »Palästinenser« gezwungen werden, Gaza zu verlassen, das zunächst von einer »palästinensischen« Übergangsadministration verwaltet werden soll, die einem international besetzen und von Donald J. Trump geleiteten »Board of Peace« rechenschaftspflichtig sein soll.

Gaza soll unter Einbeziehung von Experten, die bereits den Aufstieg anderer nahöstlicher Metropolen zu »Wunderstädten« organisiert haben, wiederaufgebaut werden, um so »Palästinensern« eine Perspektive für die Zukunft zu bieten. Nie wieder soll von Gaza eine Gefahr für den Frieden ausgehen, die Deradikalisierung der Bevölkerung des Gebiets als Grundvoraussetzung aller weiteren Entwicklungen wird daher schon im ersten Punkt erwähnt.

Trotz einiger Widersprüchlichkeiten – eine Deradikalisierung Gaza und die gleichzeitige Begnadigung und Entlassung 250 zu teils mehrfach lebenslänglicher Haft verurteilter »palästinensischer« Terroristen aus israelischer Haft scheinen nicht recht zusammenzupassen – eröffnet der nach dem US-Präsidenten benannte Plan insgesamt weit mehr Chancen auf einen Frieden als die substanzlosen Anerkennungen »Palästinas« als Staat der letzten Tage.

Ohne Frage ambitioniert, stellt der Plan mit seinen 20 Punkten ein durchdachtes und deutlich überzeugenderes Konzept dar als das, was vor allem europäische Staaten in den letzten Tagen und Wochen an »Friedensplänen« vorzustellen vermochten, zumal er es vermeidet, Israel, das Opfer eines barbarischen Überfalls der Hamas, wegen seiner Antwort darauf ins Unrecht zu setzen. Premier Benjamin Netanjahu hat dem Plan zugestimmt. Die Hamas »prüft« ihn.

Staatsmann oder Machtpolitiker

Mit einiger Spannung erwartet wird der Ausgang eines Treffens des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und US-Präsident Donald J. Trump. Der hatte in der vergangenen Woche unter Vertretern arabischer Staaten massiv für einen amerikanischen Plan geworben, der zu einem Ende des Kriegs zwischen der Hamas und Israel und zur Freilassung der jüdischen Geiseln aus der Gewalt der islamistischen Terrororganisation führen könnte.

Der »21-Punkte-Plan für Frieden im Nahen Osten und Gaza« dürfte im Mittelpunkt der Gespräche Benjamin Netanjahus im Weißen Haus stehen, müssen einige Punkte doch noch präzisiert werden, bevor sich das durchaus ambitionierte Papier in der Praxis bewähren könnte. Israel würde der Plan einige Zugeständnisse abverlangen, die im Kabinett Benjamin Netanjahus nicht eben populär und daher auch geeignet sind, seine Regierungsbündnis zu sprengen.

So hat Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir bereits angekündigt, ein Verzicht darauf, die Souveränität Israels auf die umstrittenen Gebiete auszuweiten, sei für ihn und seine Partei Otzma Yehudit inakzeptabel. Ähnliches gelte für den vorgesehenen Abzug der israelischen Armee aus Gaza. Gleichwohl wäre ein Rückzug Itamar Ben Gvirs keine Premiere. Erst im März kehrte der Politiker nach einer zweimonatigen Auszeit wieder ins Ministeramt zurück.

Weite Teile der israelischen Gesellschaft, nach Umfragen eine Mehrheit, begrüßen den »21-Punkte-Plan«, und selbst unter Unterstützern und Wählern der Regierungsparteien überwiegt die Zahl der Befürworter die der Zweifler. Im Sinne aber vor allem der Menschen, für die er eine Heimkehr nach Israel bedeuten könnte, sollte dem israelischen Premier der Erhalt der eigenen Mehrheit jedenfalls nicht das wichtigste Ziel sein bei seinen Unterredungen im Weißen Haus.

Entlarvende Empörung

Das französische Staatsoberhaupt Emmanuel Macron hat mit Empörung auf ein Schreiben des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu reagiert, in dem der dem französischen Präsidenten mitverantwortlich macht für die Zunahme des Antisemitismus in dem europäischen Land. Solche Vorwürfe, heißt es aus Paris, seien »verwerflich und irrig«. Frankreich schütze »seine jüdischen Bürger und werde« dies immer tun.

Auch der französische Europaminister Benjamin Haddad wies die Vorwürfe des israelischen Regierungschefs zurück. »Frankreich«, ließ er wissen, habe »im Kampf gegen Antisemitismus keine Lektionen zu lernen«. Das Schreiben Benjamin Netanjahus, kündigte die Präsidialverwaltung in Paris weiter an, werde »nicht unbeantwortet bleiben«. Frankreich will in diesem September »Palästina« offiziell als Staat anerkennen.

Die wütenden französischen Reaktionen auf den Brief aus Israel sind bezeichnend. Selbst wer nicht jede Entscheidung des israelischen Ministerpräsidenten für besonders weise hält, wird kaum leugnen können, daß seine Vorwürfe begründet sind. Bewog das antisemitische Klima schon lange vor 2023 viele französische Juden dazu, dem Land dauerhaft den Rücken zu kehren, hat das Ausmaß antisemitische Vorfälle seither weiter dramatisch zugenommen.

Allein im 1. Quartal 2024 etwa stieg die Zahl judenfeindlicher Angriffe in Frankreich im Vergleich zum gleichen Vorjahreszeitraum um mehr als 300 Prozent. Den Organisatoren einer von vielen gesellschaftlichen Akteuren noch im November 2023 mitgetragenen Demonstration in Paris gegen den verbreiteten wahnhaften und nicht selten tödlichen Haß auf Juden hatte das französische Staatsoberhaupt da schon die kalte Schulter gezeigt.

Und auch mit seinem Einsatz beispielsweise gegen die Teilnahme israelischer Unternehmen an internationalen Ausstellungen für militärische Güter in dem Land zeigte Emmanuel Macron neben seiner steten »Kritik« am Vorgehen Israels gegen die Hamas in Gaza, die Hisbollah im Libanon oder das islamistische Regime in Teheran, wo jedenfalls er steht. Und natürlich bestätigte und befeuert er damit den Antisemitismus.

Die freilich bereits mehrfach verschobene Anerkennung »Palästinas« als Staat durch Paris, die ausdrücklich als »Drohung« gegen Jerusalem gerichtet ist, bestätigt nur endgültig, daß das Frankreich Emmanuel Macrons sich an der Seite der Feinde jüdischer staatlicher Souveränität sieht. Und das bleibt eben auch nicht folgenlos für die Lage in Frankreich selbst. Mit seiner selbstgefälligen Empörung stellt Paris sich einmal mehr selbst bloß.

Zynismus der Hamas

Nachdem mehrere europäische Staaten, darunter Frankreich und das Vereinigte Königreich kürzlich angekündigt hatten, im September »Palästina« als Staat anzuerkennen, war es still geworden um einen Deal über eine Freilassung jüdischer Geiseln aus der Gewalt der Hamas und eine Waffenruhe in Gaza. Die Hamas sah sich durch die Initiative, der sich auch Australien und Kanada angeschlossen haben, bestätigt und gestärkt.

Mit der Ankündigung, in den nächsten Tagen die Stadt Gaza unter israelische Kontrolle bringen zu wollen, hat Jerusalem unterdessen den Druck auf die Hamas wieder erhöht. Vielerorts und besonders laut dafür ausgerechnet von Regierungen angegriffen, die demnächst diplomatische Beziehungen zu einem imaginären »Palästina« aufnehmen wollen, scheint freilich Jerusalem neuen Verhandlungen den Weg bereitet zu haben.

Unterhändler aus Ägypten und Katar jedenfalls wollen ein gesteigertes Interesse der islamistischen Terrororganisation bemerkt haben, sich auf eine zunächst auf 60 Tage begrenzte Waffenruhe und die Freilassung eines Teils ihrer verbliebenen 50 Geiseln einzulassen. Nach den Angaben will die Hamas 10 ihrer noch lebenden Geiseln im Tausch gegen 150 in Israel inhaftierte »palästinensische« Terroristen freigeben.

Die israelische Regierung hat sich zu diesem Angebot bisher nicht geäußert, freilich hatte Premier Benjamin Netanjahu zuletzt erklärt, er lehne eine solche »Teilvereinbarung« ab, die Hamas müsse alle Geiseln freigeben. Während Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir zu befürchten scheint, der Regierungschef könne davon wieder abrücken, erklärte Oppositionspolitiker Benny Gantz, jetzt sei »die Zeit für die richtige Entscheidung«.

Gleichwohl ist die Frage danach, was »richtig« ist, wohl nicht so einfach zu beantworten. Rechtfertigt die Aussicht darauf, daß 10 Geiseln bald lebend nach Israel zurückkehren könnten, weitere noch lebende Juden vorerst in der Gewalt der Islamisten zu belassen und mindestens 60 Tage davon abzusehen, ihre Entführer, ihre Folterer zu verfolgen und zu bekämpfen? Ein Kompromiß mit der Hamas kann tödlich sein.

Wichtiger Einwurf

Mit Streiks wollen am Sonntag Menschen in ganz Israel an das Schicksal von noch immer 50 jüdischen Geiseln in der Gewalt der Hamas und ihrer Komplizen in Gaza erinnern und gegen die ihrer Ansicht nach unzureichenden Bemühungen der Regierung in Jerusalem zu deren Befreiung protestieren. Zu den Demonstrationen, die von vielen Organisationen und Institutionen unterstützt werden, hat das Forum der Geisel-Angehörigen aufgerufen.

Der »Generalstreik«, der mit ersten Aktionen bereits um 6:29 Uhr begann – zu dieser Zeit durchbrachen am 7. Oktober 2023 Hamas-Terroristen und ihre Helfershelfer israelische Grenzanlagen -, soll einen Tag dauern. In Tel Aviv fand eine Großkundgebung statt, zu der Teilnehmer aus dem ganzen Land anreisten, darunter viele prominente Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Gesellschaft; auch Staatsoberhaupt Isaac Herzog wurde erwartet.

In seiner Ansprache wandte sich Isaac Herzog sehr zutreffend auch an die internationale Öffentlichkeit und wies deren einseitige »Kritik« an Israel zurück. »Hören Sie auf mit Ihrer Heuchelei«. Es brauche keinen verstärkten Druck auf Israel, sondern auf die Hamas. »Sie wollen, daß mehr Hilfsgüter geliefert werden, daß sich die Lage [in Gaza] ändert? Dann beugen Sie sich nicht der Hamas, sondern fordern Sie von ihr, zuerst die Geiseln freizugeben.«

Und das ist in der Tat ein wichtiger, vor allem aber ein nur zu berechtigter Appell. Unabhängig davon nämlich, was von der Strategie Jerusalems zu halten ist, ist es noch immer die islamistische Terrororganisation, die es in der Hand hat, wie lange der Krieg dauert und damit womöglich verbundene Entbehrungen von »Palästinensern«. Die Hamas allein – nicht Premier Benjamin Netanjahu – kann die Geiseln jederzeit freigeben und die Waffen stecken.

Weichenstellungen

Der israelische Premier Benjamin Netanjahu erwägt offenbar eine längerfristige militärische Besetzung Gazas. Wie es aus seinem Umfeld heißt, denkt der Regierungschef über eine ganze Reihe von Maßnahmen nach, um die die israelische Kontrolle in Gaza auszuweiten. Neben weiteren Lockerungen für die Einfuhr von Hilfsgütern und kommerzielle Lieferungen sollen dazu auch verstärkte Anstrengungen zählen, die Herrschaft der Hamas in ganz Gaza zu beenden.

Zugleich will der israelische Ministerpräsident weiter über einen Deal mit der islamistischen Terrororganisation über eine Freilassung aller ihrer verbliebenen jüdischen Geiseln verhandeln. Wie gemeldet wird, sucht Benjamin Netanjahu in Beratungen mit seinem Sicherheitskabinett Unterstützung für seine Vorstellungen, die besonders in der Armeeführung auf heftige Kritik stoßen sollen, die das Büro des Premiers dünnhäutig mit Rücktrittsempfehlungen beantwortete.

Was auch immer stimmen mag an den zahlreichen Meldungen, die auf Aussagen anonymer Quellen beruhen, Jerusalem bereitet sich wohl auf ein Ende des Krieges gegen die Hamas zu seinen Bedingungen und die Zeit danach vor. In wenigen Wochen jährt sich der barbarische Überfall der Hamas auf den jüdischen Staat zum zweiten Mal, und es gibt vermutlich nur sehr wenige Menschen, die es bedauern würden, wären die Islamisten bis dahin vernichtend geschlagen.

Damit Gaza und seine Bevölkerung danach nicht erneut in die Hände von Terroristen fallen, scheint auch ein längerfristiges israelisches militärisches Engagement zumindest erwägenswert. Die bisher auf internationaler Ebene verhandelten Alternativen sind jedenfalls kaum überzeugender. Die Vereinten Nationen haben sich durch ihre Rolle als Stütze des Hamas-Regimes spätestens seit 2005 und ihre verschärften antiisraelischen Angriffe seit Oktober 2023 gründlich disqualifiziert.

Die »Palästinenserführung« um »Präsident« Abu Mazen, die sich selbst als einzige legitime Vertreterin »palästinensischer« Interessen bezeichnet, dürfte schon daran scheitern, daß die allermeisten »Palästinenser« ihr längst die Gefolgschaft verweigern. Sie war es auch, die Gaza 2007 der putschenden Hamas überließ. So ist, auch mangels anderer überzeugender Vorschläge, ein längeres israelisches Regime über Gaza von den problematischen Optionen noch die günstigste.

Unterwerfung

Die Europäische Union hat sich durchgesetzt. Wie es in einer Mitteilung ihrer Hohen Außenbeauftragten Kaja Kallas heißt, hat Jerusalem zugestimmt, »in den nächsten Tagen« weitere Übergänge zu öffnen, über die zusätzliche Nahrungsmittel und weitere humanitäre Güter nach Gaza transportiert werden sollen. Ihre Verteilung will Brüssel dabei in die Hände »aller relevanten humanitären Akteure, UN-Organisationen und NGO vor Ort« legen.

Mit der Gaza Humanitarian Foundation (GHF) freilich, die und deren Mitarbeiter in den vergangenen Tagen immer wieder von der Hamas ins Visier genommen wurden, lehnt Europa auch weiterhin jede Zusammenarbeit ab. Und das macht die Nachricht von der europäisch-israelischen Einigung, die vor allem das Ergebnis von Drohungen Brüssels mit der Aufkündigung noch bestehender Abkommen mit Israel sein dürfte, nicht zu einer guten.

Läßt sich Jerusalem tatsächlich darauf ein, erneut mit Organisationen zu kooperieren, die in den vergangenen Jahren durch ihre »humanitäre« Arbeit maßgeblich dazu beitrugen, die Herrschaft der islamistischen Terrororganisation zu sichern und zu legitimieren, und es ihr so erst möglich machten, ihren barbarischen Überfall auf den jüdischen Staat am 7. Oktober 2023 vorzubereiten, gleicht das nicht bloß einem Verrat an der GHF und ihren Helfern.

Statt sich den dreisten Forderungen Brüssels zu widersetzen, beugt sich die Regierung unter Benjamin Netanjahu einer Europäischen Union, in der antisemitische Ressentiments bis hin zu offenen Sympathiebekundungen für die Hamas längst zum »guten Ton« gehören. Riskieren seit zwanzig Monaten israelische Soldaten täglich ihr Leben, die islamistische Terrororganisation zu schlagen und ihre Geiseln zu befreien, fällt ihre Regierung ihnen in den Rücken.

Denn selbstverständlich schwächt die von Brüssel angestrebte und von Jerusalem abgesegnete Wiederbelebung »bewährter« Strukturen, die sie unterwandert hat oder kontrolliert, die Hamas nicht. Was in diesem Zusammenhang schließlich von der »Zusicherung« Kaja Kallas’ zu halten ist, von der europäischen Hilfe dürften Terroristen »nicht profitieren«, hat Brüssel erst jüngst mit seiner bezeichnenden Unbedenklichkeitsbescheinigung für sie gezeigt.