Geringeres Übel

»Immer mehr Briten«, meldet die Zeitung für Deutschland, »wollen Deutsche werden«. Die Regierung in Berlin habe in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag erklärt, die Zahl der Anträge von Briten auf eine Wiedereinbürgerung habe sich seit 2015 dramatisch erhöht. Habe es 2015 59 solche Anträge gegeben, seien es 2016 schon 760 und 2017 1824 gewesen.

Die meisten Antragsteller berufen sich auf Artikel 116 des Grundgesetzes, der Opfern nationalsozialistischer Verfolgung und deren Nachfahren ein Recht auf Wiedererlangung der deutschen Staatsbürgerschaft zusichert. Der Antragsanstieg zeige, daß viele Briten »die Vorteile der Unionsbürgerschaft« behalten wollten, meint Konstantin Kuhle, der Innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion.

Das Vereinigte Königreich wird aller Voraussicht nach 2019 die Europäische Union verlassen, derzeit wird – nicht eben erfolgreich – darüber verhandelt, wie der Brexit organisiert werden soll. Doch ist es wirklich die Attraktivität der (Rest-)EU, die zum Andrang auf die deutsche Staatsbürgerschaft führt, wie der liberale Innenpolitiker, natürlich ein Anhänger EUropas, behauptet?

Könnten gerade Opfer der deutschen Barbarei und deren Erben nicht noch gute andere Gründe haben, sich für einen zweiten Paß – und sei es der deutsche – zu interessieren? Seit 2015 ist Jeremy Corbyn Führer der Labour Party, die sich unter seinem Vorsitz zu einer antisemitischen Partei entwickelt und dazu beigetragen hat, Antisemitismus in Großbritannien gesellschaftsfähig zu machen.

Jüdische Verbände warnen ob des gestiegenen Antisemitismus’ immer wieder vor einer sozialdemokratischen Regierung in London. Vielleicht wollen Juden, deren Eltern oder Großeltern vor deutscher Verfolgung fliehen konnten, deshalb nun vorbereitet sein. Sie und ihre Furcht vor einem Wahlsieg Jeremy Corbyns als Werbung für die EU zu instrumentalisieren, scheint vorschnell und unanständig.