Stilfrage

Mit 60 Stimmen und damit mit einer beinahe kaum so zu nennenden Mehrheit von einer Stimme haben die Abgeordneten der Knesset in der israelischen Hauptstadt Jerusalem am Sonntag Naftali Bennett zum neuen Premier des jüdischen Staates gewählt und den Amtsinhaber Benjamin Netanjahu in die Opposition geschickt: Israel hat eine neue, seine 36. Regierung, die eine des Wandels sein will.

Der bisherige Regierungschef, er war 12 Jahre ununterbrochen im Amt, und einige lautstarke Anhänger zeigten zu seinem Abwahl noch einmal herzlich wenig Respekt vor der demokratischen Entscheidung der Parlamentarier und der Würde des Plenums, nicht eben überzeugend schienen aber auch die ausgelassenen Feiern, mit denen Tausende etwa in Tel Aviv einen »Sieg« begehen zu können glaubten.

Mit der Vereidigung Naftali Bennetts als Ministerpräsident geht weder, wie die einen glauben mögen, Israel unter noch endet mit der Ablösung Benjamin Netanjahus ein besonders finsteres Kapitel in der Geschichte des 1948 wiedergegründeten jüdischen Staates. Wer den Amtswechsel feiern will, mag den feiern, man sollte sich auch dabei jedoch hüten, Benjamin Netanjahu negativ zu überhöhen.

Der Likud-Politiker ist nämlich kein blutsaufender Despot, der »sein« Land und »seine« Untertanen auspreßt(e) und es darüber ruiniert(e), sondern bei all seinen Fehlern eben auch ein sehr guter und erfolgreicher Regierungschef gewesen. Die vergangenen mehr als 12 Jahre, die Benjamin Netanjahu als Premier und in weiteren Ämtern ganz wesentlich prägte, waren gewiß nicht Israels schlechteste.

Und nicht unverdient ist Benjamin Netanjahu deshalb nach wie vor einer der beliebteren Politiker in Israel, vielleicht gar der beliebteste, nimmt man seine Wahlergebnisse zum Maßstab. Selbst unter arabischen Wählern war er bei der letzten Parlamentswahl Ende März deutlich erfolgreicher als jeder beliebige andere Spitzenkandidat. Und auch dieses Ansehen hat Benjamin Netanjahu sehr wohl verdient.

Freude über den Regierungswechsel ist deshalb nicht unangemessen, gleichwohl sollte sie maßvoll sein. Zeigen der nunmehr ehemalige Premier und seine Anhänger wenig Stil, wenig Respekt vor demokratischen Entscheidungen, sollte man doch nicht versuchen, sie aus Erleichterung über den Regierungswechsel mit Geschmacklosigkeiten zu übertreffen. Ein Peinlichkeitswettbewerb ist überflüssig.