Demokratische Selbstverständlichkeiten

In Israel haben sich am Sonnabend erneut zahlreiche Menschen an Demonstrationen »gegen die Rechtsregierung« unter Premierminister Benjamin Netanjahu beteiligt. In Tel Aviv sollen sich mehr als 80.000 Menschen an den Protesten beteiligt haben; deutlich überschaubarer waren die Demonstrationen in anderen Metropolen des Landes, darunter die israelische Hauptstadt Jerusalem und Haifa.

War es den Protestierenden vor Wochenfrist noch mühelos gelungen, das Niveau der Satisfaktionsfähigkeit zu verfehlen, scheinen ausgerechnet dem »faschistischen Regime« in Jerusalem nachgesagte Anweisungen an die Sicherheitskräfte, die Benutzung nationalsozialistischer Symbolik gegebenenfalls durch Verhaftungen zu unterbinden, eine gewisse Versachlichung der Proteste herbeigeführt zu haben.

Gleichwohl bleibt eine »Kritik« fragwürdig, die mit inflationierten »Faschismus«-Vorwürfen nicht »nur« Antisemiten in aller Welt, darunter Regimes wie die in Teheran, Gaza oder Ramallah, in die Hände spielt, sondern eben diesen und dessen Verbrechen schamlos verharmlost. Und müßte nicht gerade auf das Parlament statt auf Straßenkampf setzen, wer jedenfalls vorgibt, »Faschismus« verhindern zu wollen?

Die Wahl zur 25. Knesset hat am 1. November 2022 stattgefunden, vor nicht einmal drei Monaten, die Regierung in Jerusalem verfügt in ihr über eine demokratisch legitimierte Mehrheit. Allein Benjamin Netanjahus Likud konnte bei der Wahl trotz einiger Verluste bei größerer Wahlbeteiligung noch etwas mehr als 1.1 Millionen Stimmen erringen und war damit die stärkste aller zur Wahl stehenden Parteien.

Wären die Knesset, wäre die Regierung in Jerusalem schlecht beraten, ignorierten sie Großdemonstrationen wie die in Tel Aviv, wäre es zugleich kein Ausweis funktionierender demokratischer Zustände, würde die politische Entscheidungsfindung auf die Straßen Tel Avivs verlegt. Wer die Institutionen der Demokratie erhalten will und sie stärken, muß sich ihrer auch bedienen, selbst wenn das mühsam scheint.