Schlagwort: Krise

Hybris

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat am Sonntag Verteidigungsminister Yoav Gallant entlassen, nachdem der sich zuvor öffentlich für eine Aussetzung der zunehmend umstrittenen Justizreform der Koalition in Jerusalem geäußert hatte. Mit der Entlassung des Ministers, die er mit fehlendem Vertrauen begründete, löste Benjamin Netanjahu noch in der Nacht Massenproteste im ganzen Land aus.

An den Demonstration in Tel Aviv und weiteren Städten Israels beteiligten sich einige Zehntausend Menschen, womöglich deutlich mehr, wobei es auch zu Zusammenstößen mit Sicherheitskräften kam. Der Gewerkschaftsdachverband Histadrut rief zu einem Generalstreik auf, zahlreiche Hochschulen kündigten an, den Lehrbetrieb aus Protest gegen die Reformpläne der Regierung in Jerusalem ruhen zu lassen.

Und auch im Kabinett des Likud-Politikers mehrten sich am Abend und in der Nacht die Stimmen, die sich gegen die Durchsetzung der Reformpläne aussprachen, während andere Minister ihren weiteren Verbleib im Kabinett von deren rascher Umsetzung abhängig machten. Benjamin Netanjahu soll nun eine »Rede an die Nation« planen, in der er vermutlich den vorläufigen Verzicht auf die Reform ankündigen wird.

In einer außenpolitisch nicht eben entspannten Lage – das islamistische Regime in Teheran steht näher an der Schwelle zur Atommacht als je zuvor, gleichzeitig nähert es sich wieder an Riyadh an, »palästinensische« Terrororganisationen wollen Ramadan zu einem besonders blutigen Monat machen – haben der israelische Regierungschef und die ihn noch stützenden Parteien Israel ohne Not in eine tiefe Krise gestürzt.

Drei Monate ist der Likud-Politiker derzeit im Amt, und das Land ist in einem Zustand, in dem seine Verteidigungsfähigkeit offenbar enrsthaft gefährdet ist, weil immer mehr Reservisten jedenfalls dieser Regierung Entscheidungen über ihr Leben nicht mehr anvertrauen wollen, gleichzeitig drohen die wachsenden Proteste das öffentliche Leben im Land lahmzulegen, spekuliert wird gar über Bürgerkriegsszenarien.

Die Zuspitzung der Krise, in die Benjamin Netanjahu und seine Regierung Israel mit ihrem unreflektierten Festhalten an einer Justizreform gestürzt haben, die eher sehr persönlichen Interessen von Kabinettsmitgliedern dienen dürfte und weniger denen des Landes, war dabei durchaus absehbar. Daß sich nun weite Teile der Gesellschaft Israels im Ausstand befinden, ist ein Armutszeugnis für den Ministerpräsidenten.

Nur drei Monate nach Amtsantritt dürften nur noch wenige Menschen in Israel sich einen Premier Benjamin Netanjahu wünschen. Ob ein bloßes Aussetzen der Justizreform seine Regierung retten wird können, muß daher bezweifelt werden. Die Gräben, die in den vergangenen Wochen aufgerissen wurden, sind tief und breit. Benjamin Netanjahu täte wohl gut daran, über die Ermöglichung von Neuwahlen nachzudenken.

Verpaßte Chance

Am Sonntag endeten die Parlamentswahlen im Libanon mit Verlusten für die islamistische Hisbollah. Konnten die von Hassan Nasrallah geführte »Partei Gottes« und Organisationen, die sie unterstützen, bei den letzten Wahlen vor vier Jahren 71 der 128 Parlamentssitze erringen, verloren sie am Sonntag mit nur noch 62 Mandaten ihre Mehrheit. Dennoch dürfte ihr Block auch im neuen Parlament dominieren.

Erzielten erklärte Gegner der Statthalter Teherans im Libanon am Sonntag zwar einige Achtungserfolge, immerhin 12 Politik-Neulinge, die sich reformorientiert gegeben hatten, konnten Mandate erringen, bleibt ihr politisches Lager jedoch weiter zerstritten. Zugleich bleibt angesichts einer Wahlbeteiligung von etwa 41 Prozent ohnehin mehr als fraglich, wie repräsentativ das Parlament in Beirut besetzt ist.

Befindet das einst prosperierende Land sich noch immer in einer schweren Krise, die längst alle Lebensbereiche erfaßt hat und sich täglich weiter zuspitzt, geht von dieser Wahl jedenfalls kein Signal aus, das auf Reformen oder gar einen gesellschaftspolitischen Neuanfang deutet. Dazu hätten wohl auch die Verluste für die terroristische Hisbollah und ihre Alliierten noch weit, weit deutlicher ausfallen müssen.

Unter den gegebenen Umständen sind im Libanon in den kommenden Wochen und Monaten daher kaum positive Veränderungen zu erwarten. Die Marionetten Teherans werden das Land weiter in ihrem Würgegriff halten und – auch unter Einsatz ihrer Waffen – jede Entwicklung verhindern, die ihre Position gefährden könnte. Für den Libanon muß es wohl erst noch schlimmer kommen, damit es besser wird.