Falsche Freiheit

Es sollte keiner näheren Erläuterung bedürfen, daß Antisemitismus ebenso wie dessen Duldung die Freiheit von Menschen bedroht, deren Gesundheit und Leben. Und dennoch ist der irre Glaube weit verbreitet, Antisemitismus könne Ausdruck sein von Meinungs-, Kunst- oder gar Wissenschaftsfreiheit und müsse daher nicht bloß toleriert, sondern als eine »Bereicherung« vielleicht sogar begrüßt und verteidigt werden.

Geht die Regierung in Washington gegen »Elite«-Universitäten vor, weil sich dort Studenten oder Beschäftigte, die als jüdisch wahrgenommen werden, nicht sicher fühlen, ausgegrenzt und bedroht werden, findet man das etwa in Deutschland mancherorts empörend. So wurde im öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor kurzem Washingtons Vorgehen gegen das antisemitische Klima an der Harvard University verdammt.

Obgleich der grassierende Judenhaß auf dem Campus der Bildungseinrichtung in einem freilich dennoch geschönten Bericht, den die Universität selbst in Auftrag gegeben hatte, eingeräumt wurde, echauffierte sich eine Anja Braun über »Einschüchterungsversuche der Trump-Regierung« und fragte, wo die deutsche »Unterstützung dieser Universität« bliebe, »die es offenbar als einzige wagt, die Wissenschaftsfreiheit zu verteidigen«.

Noch einmal: Statt sogar selbst von der Universitätsführung eingeräumte antisemitische Übergriffe und Fehlverhalten beim Umgang mit ihnen zu thematisieren, wurden deshalb angedrohte oder verhängte Sanktionen als »Angriff« auf die Wissenschaftsfreiheit diffamiert und die Weigerung der Universität, Lehren zu ziehen, verteidigt: »Jetzt, da der Bann der Angst gebrochen ist, kann der Widerstand Wellen schlagen«.

Jetzt hat die Regierung in Washington ihrer Vorwürfe gegen die Harvard University in einem Schreiben, aus dem das Wall Street Journal zitiert, untermauert: Danach habe die Universitätsleitung »gewußt, daß sich jüdische und israelische Studenten auf dem Campus bedroht fühlten«, aber lediglich mit Gleichgültigkeit reagiert. Es scheinen doch eher die, die sich als deren Verteidiger inszenieren, die (nicht nur) die Wissenschaftsfreiheit bedrohen.