Schlagwort: Zivilcourage

Haltung

Wird anderswo schon über ein (vorläufiges) Ende der militärischen Bekämpfung der Hamas verhandelt, dem eine hoffentlich baldige Rückkehr ihrer noch verbliebenen jüdischen Geiseln vorausgehen soll, wird der Krieg gegen den jüdischen Staat längst auch und verstärkt an anderen Fronten geführt und wohl selbst dann noch fortgeführt werden, wenn ein Wiederaufbau Gazas unter zivilisierten Vorzeichen eingeleitet werden konnte: Antisemitismus kennt kein Innehalten.

So drohen verschiedene Mitglieder der European Broadcasting Union (EBU) weiter, nicht an der im nächsten Jahr in Wien geplanten nächsten Ausgabe des Eurovision-Wettbewerbs teilzunehmen, sollten israelische Künstler dazu zugelassen werden. Und einen Teilerfolg haben diese Boykotteure, angefeuert teils von den jeweiligen nationalen Regierungen, bereits errungen: Es wird Anfang November darüber abgestimmt, ob Israel noch an dem Wettbewerb teilnehmen darf.

Statt jene Mitglieder konsequent auszuschließen, die den Boykott und den Rauswurf eines anderen Mitglieds der EBU verlangen, hat sich der 1950 gegründete Zusammenschluß zahlreicher öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten in Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten, gerade nicht hinter Israel gestellt. Spürten die Veranstalter des Eurovision Song Contest (ESC) bislang viel zu wenig Gegenwind, formiert und rührt sich jetzt endlich offenbar einiger Widerstand.

Hüteten sich die sonst so aktivistischen deutschen Sendeanstalten, in dem Streit Stellung zu beziehen, zeigt Österreich als Austragungsland des ESC 2026 Rückgrat: Sollte Israel von der Teilnahme ausgeschlossen werden, werde der Wettbewerb jedenfalls nicht in Wien stattfinden. Trotz drohender Vertragsstrafen im zweistelligen Millionenbereich sollen Kanzler Christian Stocker und Staatssekretär Alexander Pröll dem ORF für diesen dem Fall den Ausstieg empfohlen haben.

Zwar gelten die Entscheidungsgremien des öffentlich-rechtlichen Senders nicht eben als begeisterte Sympathisanten der konservativen Regierung in Wien und sollte die Anstalt auch nicht bloß deren Erfüllungsgehilfin sein. Setzten sie jedoch diese Empfehlung um, könnten sie damit ein deutliches Zeichen setzen gegen den auch in Eurovision-Kreisen grassierenden Haß auf Juden und die jüdische Demokratie. Es wäre ein überfälliges Bekenntnis zu zivilisatorischen Mindeststandards.

Aufstand der Anständigen

Am Freitag wird der türkische Despot Recep Tayyip Erdoğan in der deutschen Hauptstadt Berlin erwartet. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will den rasenden Antisemiten empfangen, Bundeskanzler Olaf Scholz erwartet den Gastgeber und Förderer der islamistischen Terrororganisation Hamas im Kanzleramt. Für Judenhaß ist bekanntlich kein Platz in Deutschland, dessen politische Klasse zeigt ganz bravouröse Zivilcourage.

Hatte der willkommene Gast erst vor wenigen Tagen der Hamas bescheinigt, eine »Befreiungsbewegung« zu sein, nichts mit Terrorismus zu tun zu haben, und bestritt er Israels Daseinsberechtigung, erklärte Recep Tayyip Erdoğan nun den jüdischen Staat zum »Terror-Staat« und warf Jerusalem einen »Völkermord« in Gaza vor. Dennoch denken Regierung und Staatsoberhaupt in Berlin nicht daran, den Autokraten auszuladen.

Der nämlich ist ganz erpicht darauf, sich von Olaf Scholz »Klartext« anzuhören und von Frank-Walter Steinmeier zurechtgewiesen zu werden, womöglich gar öffentlich blamiert zu werden. Denn »wenn wir einen Antisemiten empfangen, machen wir uns diese Position ja nicht zu eigen, sondern wir reden mit ihm, und wir machen ihm sehr, sehr deutlich, daß das Aussagen sind, die auf unseren klaren Widerspruch stoßen«.

Und deswegen, weil kein deutscher Botschafter das Recep Tayyip Erdoğan klarmachen kann, ist es, um weiter mit Michael Roth zu sprechen, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags, vielleicht sogar ein großes Glück, daß der türkische Präsident gerade in diesen Tagen Berlin einen Besuch abstattet. Olaf Scholz und Frank-Walter Steinmeier wüßten sonst gar nicht wohin mit all ihrer mutigen Anständigkeit.

Emanzipation

Zahlreiche Teilnehmer und Gäste haben der im Berliner Kanzleramt angesiedelten Kulturstaatsministerin Claudia Roth am Freitag zur Eröffnung des diesjährigen Jewrovision-Wettbewerbs einen in dieser Form wohl nicht erwarteten Empfang bereitet: Von Pfiffen und Buhrufen begleitet, mußte die sichtlich irritierte Politikerin ihre aus allerlei Floskeln zusammengewürfelte Retortenrede mehrmals unterbrechen.

Jewrovision ist ein seit 2002 jährlich stattfindender Musik- und Tanzwettbewerb jüdischer Jugendzentren in Deutschland, die größte Veranstaltung ihrer Art im Bundesgebiet. Beteiligten sich sechs Jugendzentren an der ersten Jewrovision, nahmen am 20. Wettbewerb (2020 wurde er abgesagt) Talente aus 13 Städten bzw. Bundesländern teil. Ein unverfänglicher Termin, mag die Politikerin angenommen haben.

Spätestens seit der mit Zuwendungen aus ihrem Haus erst ermöglichten antisemitischen documenta fifteen muß sich Claudia Roth Vorwürfe gefallen lassen, mit ihren Entscheidungen einen der wohl bedeutendsten Beiträge der jüngeren Vergangenheit zur Verharmlosung und Verbreitung von Haß auf Juden und den jüdischen Staat geleistet zu haben. Da lag es nahe, sich um eine Einladung zur Jewrovision zu bemühen.

Freilich ging das Kalkül Claudia Roths unüberhörbar nicht auf. Wollte sie sich mit jungen jüdischen Künstlern schmücken und ihr aus eigener Arroganz ruiniertes Ansehen aufpolieren, geriet ihr Auftritt zu einem spektakulären Debakel, das die Selbstherrlichkeit insbesondere dieser Politikerin nur erst recht bloßstellte. Und es drängt sich die Frage auf, weshalb ihr Kanzler Olaf Scholz sie noch im Amt duldet.

Der Protest gegen Claudia Roth in Frankfurt/Main hat aber vor allem gezeigt, daß sich junge Juden nicht als Statisten einer Politik vereinnahmen lassen wollen, deren alltägliche Entscheidungen noch immer die Bekenntnisse ihrer Sonn- und Gedenktagsreden dementieren und durchaus nicht selten jüdisches Leben in Deutschland, aber auch anderswo in Gefahr bringen. Claudia Roth ist nämlich leider kein Einzelfall.

Mutti Zivilcourage: »Nicht auf Initiative der Kanzlerin«

»Und außerdem brauchen wir die Zivilcourage aller Menschen im Lande, dass sie Antisemitismus nicht dulden.«
(Angela Merkel, Kanzlerin, 8. November 2013)

»Bundeskanzlerin Merkel trennt sich von zwei Bildern des Malers Emil Nolde in ihrem Amtszimmer. [..] Merkel hatte sich als Leihgabe der Nationalgalerie in Berlin die Gemälde ›Blumengarten (Thersens Haus)‹ von 1915 und die Meeresansicht ›Brecher‹ von 1936 ausgewählt.

Dass die Bilder abgehängt werden, geschieht laut Regierungssprecher nicht auf Initiative der Kanzlerin. Vielmehr habe die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Eigentümerin die Kanzlerin gebeten, das Werk ›Brecher‹ zurückzugeben. Der Bitte komme man nach und gebe auch das zweite Nolde-Gemälde zurück.

Zuvor hatte es Kritik an der Auswahl der Werke gegeben. Der Kunsthistoriker Krämer sprach sich dafür aus, die Bilder aus dem Kanzleramt zu entfernen. Er sagte, Nolde sei ein überzeugter Nationalsozialist, Rassist und Antisemit gewesen.«