Schlagwort: Ukraine

Überholtes Rezept

In der deutschen Hauptstadt soll an diesem Wochenende ein »Aufstand für Frieden« stattfinden, eine Großkundgebung initiiert von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer und unterstützt von allerlei gewesener Prominenz, die dafür von großen Teilen der aktiven Politik reichlich schrill angegriffen und so erst recht populär gemacht wurden. Es fällt schwer, die einen unsympathischer zu finden als die anderen.

Bat am Freitag – ausgerechnet! – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu einer der »zentrale[n] Veranstaltung zum Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine« nach Berlin, um sich mit ein paar Geflüchteten zu schmücken und mit dicken Krokodilstränen vergessen zu machen, welchen Anteil gerade er am jüngsten russischen Einmarsch in die Ukraine hat, glauben die anderen noch an die »Steinmeier-Formel«.

Denn genau darauf läuft ja hinaus, was Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer letztlich propagieren – und vielleicht ist genau das auch der Grund für die Aufregung, die ihr Aufruf in weiten Teilen des Regierungs- und Oppositionslagers verursacht hat: Indem diese an die »Steinmeier-Formel« anknüpfen, die und deren Namensgeber seinerzeit gegen breite internationale Kritik gefeiert wurden, stellen sie jene nämlich bloß.

Mag der »Aufstand für Frieden« für den Krieg in der und um die Ukraine weniger bedeutsam sein, als Kommentar zur deutschen Ukraine-Politik hat er deshalb seine Berechtigung. Mehr als ein innenpolitisches Ereignis ist er daher aber eben auch nicht, wenngleich die Organisatoren in ihrer grenzenlosen Anmaßung, besser als Kiew zu wissen, was gut sei für die Ukraine, auch wieder denen ähneln, die sie kritisieren.

Irrenhaus

Aus Gründen, die zu hinterfragen womöglich einen Beitrag zum Weltfrieden leisten könnte, gilt der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als deren bedeutsamstes Gremium. Die vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs sowie die Volksrepublik China gehören ihm als ständige Mitglieder an, die restlichen zehn Sitze des Gremiums, dessen Wort Völkerrecht ist, werden jeweils nur auf begrenzte Zeit besetzt.

Mit einem vom Kreml initiierten und den anderen Mitgliedern des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vor allem wohl er-, in jedem Fall aber eben auch geduldeten Auftritt Roger Waters’ gibt sich das Gremium der Lächerlichkeit preis. Der Aktivist der antisemitischen BDS-Bewegung hatte bereits zuvor in einem Interview mit der Berliner Zeitung aus seiner Unzurechnungsfähigkeit kein Geheimnis gemacht.

Während er sich in dem Gespräch einmal mehr zu der gegen Israel und Juden gerichteten Boykott- Bewegung bekannte, zu der er gekommen sei, weil ihn »die gesamte palästinensische Zivilgesellschaft« darum gebeten habe, beklagte er im Zusammenhang mit der russischen Invasion in der Ukraine ernsthaft, die westlichen Gesellschaften seien einer »Gehirnwäsche« ihrer Regierungen unterzogen worden.

»Jeder, der nur halbwegs bei Verstand« sei, leugnete Roger Waters jede Verantwortung der Führung in Moskau in dem Gespräch weiter, könne doch erkennen, »dass der Konflikt in der Ukraine über alle Maßen provoziert wurde«, der Krieg sei daher »wahrscheinlich die am meisten provozierte Invasion aller Zeiten« und Moskau vermutlich gleichsam unschuldig an den Verbrechen, die seine Soldateska begeht.

Ähnlich äußerte sich der »Künstler«, dessen ehemalige Mitstreiter über weit mehr Selbstachtung verfügen als der UN-Sicherheitsrat, nun in diesem Gremium. Daß er dabei auch Kritik am Herrscher in Moskau übte, geschenkt. Es ist ein Armutszeugnis, daß sich dieses Gremium von einem offensichtlich Irren die Welt erklären läßt. Tiefer ist nur noch der Fall Moskaus, das ihn in den Sicherheitsrat bat.

Organversagen

Der Deutsche Bundestag hat mehrheitlich eine Resolution beschlossen, mit der die Parlamentarier die »gezielte und massenhafte Tötung von Menschen durch Hunger« in der Ukraine durch die »politische Führung der Sowjetunion unter Josef Stalin« als einen »Völkermord« bewerten und verurteilen wollen, der »in Deutschland und der Europäischen Union [..] bislang nur wenigen Menschen bekannt« sei.

Erzielte eine im Dezember 2018 beim deutschen Parlament eingereichte Petition, mit der die Volksvertreter aufgefordert wurden, den Holodomor als Genozid einzustufen, zwar auf die notwendige Anzahl an Unterzeichnern, dennoch befaßte sich der Bundestag aber nie mit ihr. Die Petition befindet sich noch immer »in der Prüfung«. Auch frühere Regierungen wollten sich zu dem Thema nicht festlegen.

Und in der Tat ist es unter Historikern umstritten, ob der Holodomor seriös als (versuchter) Völkermord zu bezeichnen ist. Es ist daher durchaus bemerkenswert, daß sich die Regierungsfraktionen sowie die Abgeordneten der Unionsparteien jetzt in der Lage zu einer recht unzweideutigen Einschätzung sahen. Gänzlich indiskutabel ist dabei freilich ihre Instrumentalisierung und Relativierung des Holocaust.

Ist es womöglich noch akzeptabel, leiten die Parlamentarier, wie sie es formulieren, »aus Deutschlands eigener Vergangenheit eine besondere Verantwortung ab, innerhalb der internationalen Gemeinschaft Menschheitsverbrechen kenntlich zu machen und aufzuarbeiten«, müssen sie sich gleichwohl fragen lassen, weshalb sie ihre Resolution erst und gerade jetzt einbringen wollten und beschließen konnten.

Auf einem Irrweg befinden sie sich aber jedenfalls, betonen sie – richtigerweise – die »historische Singularität« des Holocaust, gestatten sich dann aber, sie zu bestreiten, indem sie erklären, beide, Holodomor und Holocaust, gehörten in »in die Liste menschenverachtender Verbrechen totalitärer Systeme, in deren Zuge vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa Millionen Menschenleben ausgelöscht wurden«.

Damit leisten sie nicht bloß einer ahistorischen Gleichsetzung von Stalinismus und Nationalsozialismus Vorschub, sondern relativieren insbesondere die von Deutschen und ihren Helfershelfern begangenen Verbrechen am europäischen Judentum. Sie hätten besser vor ihrem Votum einen Blick in die ebenfalls am Mittwoch vorgestellte »Nationale Strategie gegen Antisemitismus« ihrer Bundesregierung riskiert.

Mission Aufarbeitung

»Der Holodomor fällt in eine Periode massivster, in ihrer Grausamkeit bis dahin unvorstellbarer Menschheitsverbrechen auf dem europäischen Kontinent. Zu diesen gehören der Holocaust an den europäischen Jüdinnen und Juden in seiner historischen Singularität, die Kriegsverbrechen der Wehrmacht und die planmäßige Ermordung von Millionen unschuldiger Zivilistinnen und Zivilisten im Rahmen des rassistischen deutschen Vernichtungskriegs im Osten, für die Deutschland die historische Verantwortung trägt. Orte wie Wola, Babyn Jar oder Leningrad stehen für diese unzähligen Verbrechen. Der Deutsche Bundestag leitet aus Deutschlands eigener Vergangenheit eine besondere Verantwortung ab, innerhalb der internationalen Gemeinschaft Menschheitsverbrechen kenntlich zu machen und aufzuarbeiten.«

(Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP: Holodomor in der Ukraine: Erinnern – Gedenken – Mahnen)

Infantile Hoffnung

Während sich die Europäische Union nach wie vor weigert, mit der Wiedereinsetzung von Sanktionen gegen das iranische Kernwaffenprogramm auch nur zu drohen, sollte Teheran seine massiven Verstöße gegen den Joint Comprehensive Plan of Action nicht einstellen, konnten ihre Außenminister sich in dieser Woche immerhin auf Sanktiönchen als Antwort auf iranische Drohnen im Ukraineeinsatz verständigen.

Die Drohnen, für deren iranische Herkunft der EU nach eigener Auskunft Beweise vorliegen, werden von den russischen Invasionstruppen in der Ukraine in zunehmendem Umfang gegen die zivile Infrastruktur des Landes eingesetzt und haben diese nach Aussagen Kiews bereits in weiten Teilen zerstört. Die angerichteten Schäden dürften das Leben in der Ukraine besonders im bevorstehenden Winter stark beeinträchtigen.

Vor dem Hintergrund dystopischer Zukunftsaussichten jedenfalls für das zivile Leben in den betroffenen Gebieten wirkt die Reaktion Brüssels auf die iranische Verwicklung in den auf europäischem Boden ausgetragenen Krieg freilich geradezu lachhaft: Die Vermögen dreier Personen und einer iranischen Einrichtung, die für die Drohnenlieferungen an Rußland verantwortlich gemacht werden, sollen eingefroren werden.

Einmal mehr zeigt Europa sich unfähig oder unwillig, angemessen sich zuspitzenden Konflikten zu begegnen. Es kann ob dieser Inkompetenz oder eben dieses Unwillens nicht verwundern, daß das Mullah-Regime demnächst vielleicht zwar gestürzt werden wird, aber mit Atombomben in den Untergrund gehen könnte, nachdem es noch mitgeholfen hat, menschenwürdiges Leben in der Ukraine unmöglich zu machen.

Lupenreine Demokratin

Annalena Baerbock, sie fungiert als deutsche Außenministerin, hat sich im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Prag nach übereinstimmenden Berichten dazu geäußert, wem ihre Loyalität gilt: »Ich werde die Ukraine an die erste Stelle setzen, egal was meine deutschen Wähler denken oder ob sie demonstrieren«, werden ihre englischsprachigen Aussagen etwa auf Twitter übersetzt und zusammengefaßt.

Die Tageszeitung Die Welt gibt die von der Partei Bündnis 90/Die Grünen ins Kabinett Olaf Scholz’ geschickte Politikerin auf ihrer Website etwas ausführlicher, inhaltlich aber durchaus gleichlautend wieder: »Wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe: ›Wir stehen an eurer Seite, solange ihr uns braucht‹, dann werde ich diese Versprechen einhalten. Egal, was die deutschen Wähler denken«.

Es gibt gute Grüne, die Ukraine und die ukrainische Bevölkerung gegen die russischen Versuche zu unterstützen, das Land zu »entnazifizieren« und als Staat auszulöschen. Gleichwohl zeugt es nicht eben von politischer Klugheit, sich als deutsche Außenministerin einfach mal bedingungslos »den Menschen in der Ukraine« zu unterwerfen, zumal auch und gerade dieses Kollektiv wohl eher ein imaginäres ist.

Sagt die deutsche Ministerin sich und die Regierung, der sie angehört, prophylaktisch vom deutschen Souverän los, offenbart sie sich als ziemlich lupenreine Demokratin. Dabei sind es doch »unsere gemeinsamen weltweiten Werte, die in der Ukraine auf dem Spiel stehen«, darunter »das Recht von Bürgerinnen und Bürgern, egal wo auf dieser Welt, den Weg für sich selbst, für ihr Land selbst zu bestimmen«.

Wie können »die deutschen Wähler« im Gegensatz zu »den Menschen in der Ukraine« nicht zu dieser »weltweiten Gemeinsamkeit« gehören? Und, sollten sie tatsächlich einen eigenen, einen »deutschen Weg« gehen wollen, was gewiß keine Premiere wäre, weshalb sollte ihre Regierung sich dann nicht verpflichtet fühlen, dieses »Recht«, »den Weg für sich selbst, für ihr Land selbst zu bestimmen«, umzusetzen?

Die arrogant-autoritäre Haltung Annalena Baerbocks ist ein Affront, den ein Bundeskanzler, hätte er Rückgrat und so etwas wie ein Gewissen, nur mit einer Entlassung beantworten könnte, zumal die deutsche Ukraine-Politik, wie andere europäische Demokratien zeigen, nicht alternativlos ist. Annalena Baerbock kann argumentativ nicht überzeugen, also beschimpft sie »die deutschen Wähler«. Sie ist damit unhaltbar.

Nachtrag: Nachdem gesagt wurde, was gesagt wurde, soll es sich bei Annalena Baerbocks zitierten Äußerungen um »Desinformation von der Stange« handeln, für die ihr Auswärtiges Amt, das sich einen Beauftragten hält für strategische Kommunikation, ein »sinnentstellend zusammengeschnittenes Video, geboostert von prorussischen Accounts« verantwortlich macht.

Friedensnobelpreiskandidat

In der Nacht zum 30. September 1938 unterzeichneten der damalige deutsche Kanzler Adolf Hitler, sein italienischer Verbündeter Benito Mussolini, der französische Premierminister Édouard Daladier und sein britischer Amtskollege Neville Chamberlain in München das später nach der bayerischen Hauptstadt benannte Abkommen, mit dem die zuvor von Berlin provozierte »Sudetenkrise« beendet wurde.

Von der Reichshauptstadt aus orchestriert, betrieben die als Minderheit in der Tschechoslowakei lebenden Sudeten unter der Führung Konrad Henleins die Loslösung weiter Teile Böhmens und Mährens von Prag und deren »Anschluß« an das Deutsche Reich. Um einen Krieg um die Tschechoslowakei zu vermeiden, wurde Prag mit dem Münchner Abkommen zur Abtretung Böhmens und Mährens gezwungen.

Verteidigten Édouard Daladier und Neville Chamberlain ihre Unterschrift unter das Abkommen, bei dessen Zustandekommen Prag nicht mitreden durfte und das zugleich das Ende Tschechoslowakei bedeutete, mit der Behauptung, dadurch einen militärischen Konflikt verhindert zu haben, dürfte ihr alle Warnungen ignorierender Verrat an Prag zumindest zu dem beigetragen haben, was wenig später folgen sollte.

Kein Jahr nach Édouard Daladiers und Neville Chamberlains Unterschrift unter das Münchner Abkommen begann mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg, der erst im Mai 1945 in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht und im September des gleichen Jahres mit jener Japans enden und bis dahin unermeßliches Leid über die Menschheit gebracht haben sollte.

Keine achteinhalb Jahrzehnte nach dem Abkommen rechtfertigt ein deutscher Kanzler unter Berufung auf »das Wissen um die dramatischen Konsequenzen zweier von Deutschland ausgehender Weltkriege« seine zurückhaltende Politik angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine mit der Begründung, er »tue« damit »alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt«.

Unterlassene Hilfeleistung

Am Dienstag hat die russische Soldateska, wie das von mancher Nachrichtensendung formuliert wurde, »mit der erwarteten Großoffensive im Osten« der Ukraine »begonnen«. Und wie inzwischen gemeldet wird, erzielte die großrussische Antifa bei ihren Angriffen bereits auch »Fortschritte«: Eine »neue Phase« des russischen Kriegs gegen die Ukraine, hier scheinen Moskau und Kiew einig, hat begonnen.

Und nach wie vor beschränkt sich die Weltgemeinschaft auf bloßes Hinschauen, das immerhin, darüber können alle verbalen und anderen Solidaritätsbekundungen nicht hinwegtäuschen. Zwar mangelt es nicht an Zusagen, Waffen zu liefern, selbst Berlin will Kiew nun recht großzügig mit Geld unterstützen, mit dem die ukrainische Regierung deutschen Waffenschmieden Umsatzrekorde bescheren soll.

Doch es bleibt eben auch dabei, daß niemand dem angegriffenen Land, das durchaus überraschend noch immer standhält, tatsächlichen Beistand leistet. Der Überlebenskampf des Landes, dessen Bevölkerung mehrheitlich nach der Verwirklichung jener bürgerlichen Freiheit strebt, für die der Westen steht, hält an, doch der, der läßt sie letztlich im Stich, liefert sie den Aggressoren aus, wissend, was geschieht.

Die russische »Großoffensive im Osten« ist eine erwartete. Was sie schon mit sich brachte und was sie noch bringt an Leid und Zerstörung war und ist damit erwartbar. War es tatsächlich nicht verhinderbar? Der Frage wird sich der Westen stellen müssen, der Hilfe zwar nicht unbedingt immer so kaltschnäuzig buchstabiert wie Berlin, der sich aber weiter vor allem: heraushält. Und Moskau damit gewähren läßt.

Verfolgte Unschuld

Die Führung in Kiew hat am Dienstag das deutsche Staatsoberhaupt Frank-Walter Steinmeier ziemlich unsanft öffentlich blamiert. Hatte der Sozialdemokrat wohl geplant, am Mittwoch in der Gesellschaft des polnischen Präsidenten Andrzej Duda und seiner Amtskollegen aus den drei baltischen Staaten in die Hauptstadt der Ukraine zu reisen, richtete Kiew ihm aus, er sei in dem Land nicht willkommen.

Und natürlich schäumt die SPD prompt ob des »unfassbare[n] Affront[s] gegenüber dem deutschen Staatsoberhaupt«, statt für einen Moment darüber nachzudenken, ob nicht vielleicht umgekehrt ein Besuch ausgerechnet Frank-Walter Steinmeiers in Kiew ein Affront gegenüber der Ukraine wäre. Kiew jedenfalls hat gute Gründe, dem deutschen Staatsoberhaupt den Terminplan durcheinanderzubringen.

In der Tat trifft das, wie ein ansonsten irrender Jacques Schuster in der Welt, anmerkt, nicht die Privatperson Frank-Walter Steinmeier, sondern, da er dessen Staatsoberhaupt ist, Deutschland. Wie Frank-Walter Steinmeier in jeweils herausgehobener Position die deutsche Politik gegenüber Rußland und den osteuropäischen Staaten prägte, muß er nun für deren Folgen, zu denen auch dieser Krieg zählt, einstehen.

Arrogant setzten er und seine Partei sich immer wieder über Warnungen vor dem Kreml hinweg und propagierten selbst noch nach dem Fall der Krim die ungebremste Annäherung an Moskau, die in eine Abhängigkeit mündete, die Berlin auch heute noch an Wladimir Putin bindet, so laut selbst das deutsche Staatsoberhaupt heute – mit »schwerem Herzen« – über diesen Ausverkauf an Moskau klagen mag.

Kennt Rolf Mützenich, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Deutschen Bundestag, keine (demokratischen) Parteien mehr, indem er von eben jenen fordert, Frank-Walter Steinmeier geschlossen »vor ungerechtfertigten Angriffen [zu] schützen«, und der ukrainischen Führung im gleichen Atemzug unterstellt, sich »ungebührlich in die Innenpolitik unseres Landes ein[zu]mischen«, kann das Kiew nur bestätigen.

Klarstellung

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat am Mittwoch in seinen einleitenden Ausführungen zur Befragung der Bundesregierung durch das Parlament festgestellt, es müsse »unser Ziel bleiben, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt«. Es sei dieses Ziel, das die Entscheidungen seiner Regierung zum unprovozierten russischen Einmarsch in die und zur Besetzung weiter Teile der Ukraine bestimme.

Der vor vier Monaten als Kanzler vereidigte Politiker erklärte damit ganz ausdrücklich nicht, daß die Regierung in Berlin die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität der Ukraine als oberstes Ziel ihrer Außenpolitik verfolge, wenn es »um Waffenlieferungen geht, wenn es um finanzielle und humanitäre Unterstützung geht, wenn es um die Aufnahme der Flüchtlinge geht oder um die Sanktionspakete«.

Olaf Scholz las seine Worte ab. Man muß daher davon ausgehen, daß er sie so meint, wie er sie vorträgt: Die staatliche Souveränität der Ukraine in ihren international anerkannten Grenzen ist nicht unbedingt beabsichtigt von der Regierung in Berlin. Ein womöglich noch Jahre andauernder und immer wieder aufflammender Stellungskrieg, mal mehr, mal weniger heftig ausgetragen, scheint für sie hinnehmbar.

Das Ziel, »dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt«, wäre jedenfalls auch so erreicht. Der Kreml hätte in einem solchen Szenario ohne Frage nicht »gewonnen«, die Ukraine aber existierte in ihm günstigenfalls noch als ein trauriger Schatten ihrer selbst und beständig existenziell bedroht. Eventuell existierte sie aber schon gar nicht mehr und Rußlands Soldateska »entnazifizierte« etwa das Baltikum.

Zu den relativ jungen Errungenschaften des Völkerrechts gehört das Konzept der »Responsibility to protect (R2P)« oder »Schutzverantwortung«. Danach sind Staaten verpflichtet, Unheil von ihrer Bevölkerung abzuwenden. Tun sie das nicht oder können sie das nicht, könnte die Weltgemeinschaft danach militärisch intervenieren. In ihrem Wahlprogramm 2013 bekannte die SPD sich noch ausdrücklich zu R2P.

Spätestens seit dem Mittwoch dieser Woche ist klar, daß Deutschlasnd sich unter einem sozialdemokratischen Kanzler nicht mehr daran erinnert. Wenn nur Rußland »nicht gewinnt«, ist die Unordnung in der Welt der Sozialdemokratie nicht groß genug, sich tatsächlich mehr als nur Sorgen zu machen. Berlin scheint entschlossen, der noch existierenden Regierung in Kiew weiter mit Stoff für Kritik zu versorgen.